Prêt-à-porter aus Altkleidern

Fünfzig Ein-Euro-JobberInnen des Roten Kreuzes Hamburg und der Stiftung Berufliche Bildung hauchen ausgedienten Bettdecken und kaputten Hosen neues Leben ein. Morgen startet der Verkauf der neuen Modekollektion „nadelneu“. Der Gewinn soll in gemeinnützige Zwecke fließen

VON UTA GENSICHEN

Beate Bierut schaut konzentriert auf das rote Stück Stoff, das unter ihren Händen langsam zu einer Blume wird. Die Singer-Nähmaschine rattert leise. Seit drei Monaten näht Bierut für das Deutsche Rote Kreuz und fertigt Röcke, Taschen oder eben Accessoires an. „Ich möchte gerne einen richtigen Job finden“, sagt sie und blickt kurz auf. Denn einen richtigen Job hat die Polin derzeit nicht, dafür aber eine Chance.

Diese gibt ihr das Projekt „nadelneu“ – eine eigene Modekollektion des Roten Kreuzes Hamburg und der Stiftung Berufliche Bildung (SBB). Aus Kleiderspenden, die entweder kaputt oder aus der Mode sind, schneidern die Ein-Euro-Jobberinnen ganz neue Bekleidungsstücke oder Accessoires. Das Konzept lautet hier Patchwork und damit sind nicht nur die aus Stofffetzen zusammengenähten Oberteile und Topflappen gemeint. Denn an den Arbeitsplätzen in der Änderungsschneiderei und in den Büroräumen sitzen Beschäftigte aus den verschiedensten Nationen.

So sitzt nur zwei Arbeitsplätze von der Polin Bierut entfernt Madina Adam. Vor zehn Jahren kam Adam aus Ghana nach Deutschland, Arbeit hat auch sie noch nicht gefunden. „Zu Hause ist es so langweilig“, sagt sie. Auch sie ist eine gelernte Schneiderin und ist deshalb froh, ihre Fertigkeiten in der Schneiderei der SBB unter Beweis zu stellen. Gerade näht sie mit ihrer Pfaff-Nähmaschine einen Rock. Die Stoffe dafür hat sie sich selbst zusammengestellt. Was einst jemandem als grüne Bettwäsche diente oder als weiße Tischdecke einen Tisch zierte, wird unter den Händen von Madina Adam nun zu einem weit schwingenden Rock.

„Es gibt aber auch viele hier, die vorher noch nie genäht haben“, sagt die betreuende Modedesignerin Ina Lünsmann über die 50 Ein-Euro-JobberInnen. „Viele MigrantInnen haben zudem gar keine Arbeitserfahrungen.“ Bevor diese aus Badematten oder Filz tragbare Taschen herstellen, gibt es deshalb erst einmal Nähübungen auf Papier. Später dann dürfen sie sich aus den großen Kisten mit den Stoffen eine eigene Auswahl zusammenstellen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen. „Das sind alles Unikate“, sagt Lünsmann über die Patchwork-Kleider und ist begeistert von einer Jeans-Mütze mit silbernem Gürtel.

Zehn Monate lang dürfen die 48 Frauen und zwei Männer Kleidungsstücke entwerfen, Stoffe zuschneiden oder in der Personalverwaltung arbeiten. „Wir bieten außerdem allen TeilnehmerInnen Qualifizierungsmaßnahmen an“, sagt Erika Niehoff, die Betriebsleiterin der SBB in der Hamburger Wendenstraße. Dazu gehören neben einem Bewerbungstraining und Computerkursen auch wahlweise Englisch-Stunden oder ein Kassen-Training. Wegen der ständigen Rotation von zehn Monaten ist das Projekt „nadelneu“ zudem stets offen für weitere TeilnehmerInnen. „Zu uns kann jeder kommen, sogar ohne Vorkenntnisse“, sagt Niehoff.

Ihre Premiere hat die Patchwork-Kollektion am Sonnabend. Dann nämlich startet der Verkauf der Flickenröcke und Bademattentaschen im Rotkreuz-Kilo-Shop in Hamburg-Altona. Zu erkennen sind die ungewöhnlichen Kreationen an ihrem eigenen Markenzeichen, das in jedes Kleidungsstück eingenäht wird – eine kleine Nähmaschine. Die aus dem Verkauf gewonnenen Erlöse sollen in gemeinnützige Projekte fließen.

Was passiert allerdings mit der Polin Bierut oder der Ghanesin Adam, wenn die zehn Monate Ein-Euro-Job vorbei sind? „Im besten Fall haben sie bis dahin Arbeit gefunden“, sagt Niehoff. Gerne erzählt sie deshalb von einer Dekorationsnäherin, die bereits nach kurzer Zeit über das Projekt einen Job gefunden hat.