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: Nach dem Überraschungserfolg – „Kalteis“, der neue bajuwarische Schocker von Andrea Maria Schenkel

Der Überraschungserfolg, wie man sagt, den der Krimi „Tannöd“ erzielte, bekräftigte die latent messianischen Erwartungen, die sich immer wieder auf den Buchmarkt richten. Siehe, es gibt sie, die Entdeckungen, mit denen niemand gerechnet hat! Ein unbekannter Name! Ein interessantes Buch! Und wenn es dann zu Plagiatsvorwürfen kommt, um so besser.

Zwei Jahre später – also keineswegs hastig – veröffentlicht Andrea Maria Schenkel ihren zweiten bajuwarischen Schocker. Wieder ordentlich, aber unaufdringlich mit Dialekt dekoriert. Spielte „Tannöd“ unter den wortarmen, aber affektstarken Naturmenschen des bayrischen Dorfes, so handelt „Kalteis“ von den kleinen Leuten, die es nach München oder doch wenigstens in seine Vorstädte geschafft haben.

Nein, nicht so ganz, das ist ja der Plot. Katharina Hertl, genannt Kathie, aus Wolnzach träumt erst vom süßen Leben in München, fährt in die große Stadt, um es endlich zu erlangen, und – na ja. Einfach nur stillliegen unter den Kerlen, in einem Gastzimmer beim Soller im Tal … Der Plot entstammt dem Genre der Moritat. Mutzelkarlinchen hat Rosinen im Kopf und verfällt dem großen bösen Wolf. Die Moritat, die den Gegensatz von Großstadt (Sünde) und Provinz (Tugend) herausarbeitet, dient der moralischen Instruktion des Dienstpersonals: Mutzelkarlinchen, beware!

„Tannöd“ imponierte durch literarische Arbeit. Der Roman setzte sich aus Zeugenaussagen, aus O-Tönen gewissermaßen, zusammen, die schließlich den Mörder der Familie Danner (plus einer Magd) enthüllten. Auch „Kalteis“ ist so konstruiert; dazwischenmontiert das polizeiliche Verhör des Lustmörders, wie man damals sagte, sowie Passagen eines objektiven Erzählers – wie schon in „Tannöd“, was das Bild ästhetischer Sorgfalt durch Schlamperei ein wenig verwirrt. Warum nicht der ganze Text in O-Tönen? Oder durch einen objektiven Erzähler vorgetragen? Die Regel, nach der der Erzählerwechsel eintritt, bleibt unklar und er erbringt deshalb kein eigenes Vergnügen.

Was die komplizierte Konstruktion bei „Kalteis“ darüber hinaus beeinträchtigt: dass man von vornherein weiß, who dun it, Josef Kalteis eben, ein Eisenbahner, der auf rough trade steht, was bei dieser und jener Zufallsbekanntschaft – Herta und Erna und Kunigunde und endlich Kathie aus Wolnzach – letal endet. Schon auf Seite 8 kommt Josef Kalteis deshalb unter die Fallschwertmaschine, ein mit Gusto platziertes Wort; wir befinden uns im „Dritten Reich“, das solche Lustmörder, wie eine Aktennotiz erklärt, schon gar wenn sie Parteimitglieder sind, als undeutsche Reste aus der Systemzeit ausmerzt. Großdeutschland bewohnen keine Lustmörder – der junge Mario Adorf imponierte 1957 in Robert Siodmaks Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ als ein solcher, und der Film galt als Aufklärungsarbeit über Hitlerdeutschland.

Der Leser von „Kalteis“ also leidet daran, dass er das Verhängnis von vornherein kennt, in das Herta und Erna und Kunigunde und Kathie rennen. Warum übrigens nicht „Kati“, wenn’s schon bajuwarisch zugeht? „Kathie“, nicht wahr, hieße eine Agenturschlampe aus Friedrichshain, anno 2004. Aber egal. Weil es Schenkel keine Freude macht, sich und uns genau auszumalen, wie Josef Kalteis mittels rough trade zu, wie er beim Polizeiverhör gesteht, höchstem Geschlechtsgenuss gelangt und zugleich den Exitus des Mutzelkarlinchens herbeiführt, hapert es mit der Krimikonstruktion. Man will’s gar nicht genauer wissen und kriegt’s, glücklicherweise, nur undeutlich erzählt.

Trotzdem, Andrea Maria Schenkel imponiert durch saubere Arbeit. Kinogeher kennen das Handbuch von Leslie Halliwell, das diesem und jenem Filmschaffenden eine kleine Rosette für besondere Leistungen verleiht. Gäbe es so was für Literaturschaffende, Andrea Maria Schenkel bekäme ihre Rosette for trying. MICHAEL RUTSCHKY

Andrea Maria Schenkel: „Kalteis“. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 154 Seiten, 12,90 Euro