Tanz hinter der Theke

■ 27, ist gelernter Buchhändler. Er lebt in Leipzig, wo er am Deutschen Literaturinstitut Kreatives Schreiben und an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Buchhandels- und Verlagswirtschaft studiert. Mehrere Wochen im Jahr arbeitet er in der Buchhandlung Gastl in Tübingen.

VON TIM HOLLAND

Das Geschenkpapier zwischen drei fremden Händen knitterfrei aufs richtige Maß bringen, das Geschenkband jetzt bloß nicht wegschlängeln lassen und die Schere nicht dem Kollegen in den Rücken rammen: Auf wenigen Quadratmetern wird in diesen Tagen wieder ein kunstvoller Tanz aufgeführt. Mit hochrotem Kopf bin ich Teil einer Performance, die jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit in Buchhandlungen aufgeführt wird. Die Choreografie hinter der Ladentheke ist eingespielt. Es bringt uns auch nicht aus der Ruhe, wenn uns mit einem freundlichen „Das hier hätte ich gerne“ eine ausgedruckte Produktinformation des Online-Großkaufhauses Amazon unter die Nase gehalten wird.

Ja, Amazon gibt es. Und es ist schön, dass es Amazon gibt. Noch schöner ist, dass es auch Bücher bei Amazon gibt. Überall sollten Bücher verkauft werden. Und Amazon macht das gut: liefert schnell und versandkostenfrei im ganzen Bundesgebiet. Wenn man anderssprachige Bücher lesen will, immer noch schneller und preiswerter als alle anderen. Und das Geschäft mit den E-Books haben sie auch belebt.

Klar, angesichts von Amazon ist der Buchhandel ganz schön unter Druck geraten. Aber Druck heißt auch, dass sich etwas bewegen muss. Zum Beispiel ist der Irrglaube überwunden, man müsse mit riesigen Verkaufsflächen in der Innenstadt mit dem Angebot im Internet konkurrieren. Stattdessen eröffnen in Großstädten wieder vermehrt Stadtteilbuchhandlungen. Was wie Rückzug aussieht, ist Rückbesinnung und Neubeginn. Langsam entsteht ein Bewusstsein dafür, wie man heute Bücher verkaufen kann, wie Leser Bücher kaufen wollen.

Buchhandlungen sind heute vor allem lebendige Orte des kulturellen Austausches, an denen Bücher, Kulturereignisse und Tagesgeschehen gleichermaßen diskutiert werden. Und es sollten auch Orte sein, die Menschen schätzen, die sonst gern im Netz unterwegs sind. Gerade wenn Diskussionsplattformen in die falschen Hände geraten und social reading, das gemeinsame Lesen online, zum Analysetool von Konzernen verkommt – so wie es mit der Übernahme der Leseplattform Goodreads durch Amazon passiert ist –, gibt es gute Gründe, sich besser an anderer Stelle zu unterhalten. Es sind die unabhängigen Buchhandlungen, die, online wie offline, neue Räume schaffen können.

So kann der Einkauf im Buchcafé zum Event werden, bei dem nicht nur ein Buch erworben wird, sondern die Zeit und die Möglichkeit des Austausches mit dem Buchhändler, mit anderen Lesern. Oft wurde ich schon von Kunden auf Bücher hingewiesen, die mir heute wichtig sind und ihren Platz im Laden gefunden haben. Den Überblick bewahren und aus der Schwemme an Neuerscheinungen die geschmackvollste Auswahl zu filtern, das geht nur noch gemeinsam.

Was eine Buchhandlung für den Einzelnen und die Gemeinschaft bedeuten kann, zeigt der Fall der Berliner Buchhandlung Ocelot. Als sie Anfang November ihre Insolvenz vermeldete, formierte sich auf Facebook innerhalb von vier Tagen eine Community von mehr als 1.000 Fans. Sie diskutierte die Berichterstattung und lud zum Einkaufsflashmob in die Buchhandlung.

Und im Laden um die Ecke ist der Buchhändler die bessere Suchmaschine, weil er nicht nur Fachkraft im Bibliografieren und Jonglieren mit Bezügen und Querverweisen ist, sondern auch die Erfahrung und die Schwarmintelligenz seiner Kollegen hat.

Dabei ist das Buch, was gerade nicht im Regal steht, bei Bestellung oft schon am nächsten Werktag da – ohne Morning-Express-Aufpreis. Auch viele Buchhandlungen versenden gratis. In einer Branche, in der das hauptsächliche Verkaufsprodukt preisgebunden ist, wird schließlich mit Service konkurriert.

Also ja, Weihnachten gibt es. Und ja, Amazon gibt es. Und dann gibt es Buchhandlungen, die mehr sind als Verkaufsstellen und in denen man die Verkäufer tanzen sehen kann.