LESERINNENBRIEFE
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„Provinz und Provinzialität“

■ betr.: „Der Bezirk sagt Njet!“, taz vom 17. 8. 11

CDU-Stadträtin und Bezirksparlament von Reinickendorf sträuben sich gegen die Voten aller Beteiligten, inklusive des CDU-dominierten Schulausschusses, einer der interessantesten Berliner Schulen im Brennpunkt Märkisches Viertel zu erlauben, die Grundschule über die 6. Klasse hinaus als „Schule für Alle“ weiterzuführen. „Mit der Reinickendorfer CDU wird es keine weiteren ideologiegetriebenen Experimente in der Schulpolitik geben“, so die Begründung, die man ebenso als Ausdruck einer elitären, ausgrenzenden, die (Bildungs-) Chancengleichheit beeinträchtigenden Ideologie bezeichnen könnte. Die „Ideologie“ des langen gemeinsamen Lernens wird anderswo, wie jeder wissen kann, der will, mit großem Erfolg praktiziert. Wenn alle die „Schule für Alle“ wollen, sollte man dem entsprechen. Das wäre ein Gebot politischer Vernunft und demokratischer Kultur. Aber offenbar gibt es im Bezirksamt ideologische HardlinerInnen, die meinen, sie müssten in dem nach Wählerverhalten strukturkonservativsten Bezirk einen neuen Schulkampf führen. Man könnte das Ganze unter der Rubrik „Provinz und Provinzialität“ abtun, wenn nicht die Leidtragenden die SchülerInnen wären, denen eine Chance zu einem höheren Schulabschluss und damit sozialen Aufstieg genommen würde. Aber vielleicht geht es ja auch darum, die eigenen Bürgerkinder im Konkurrenzkampf um Jobs und Karrieren weiterhin zu privilegieren. DIETER LEHMKUHL, Berlin

Ohne kritisches Hinterfragen

■ betr.: „Sachsen hat bestes Bildungssystem“, taz vom 17. 8. 11

Der Bildungsmonitor 2011 der arbeitgeberfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wird ohne kritisches Hinterfragen und reduziert auf vordere Rankingplätze im Ländervergleich referiert. Und das Gesamtsystem wird tatsachenwidrig im EU-Vergleich auf einem „guten vorderen Platz“ verortet. Da hilft es wenig, wenn die Kritik der GEW mit dem Stichwort „Beruhigungspille“ zitiert wird. Längst haben nämlich die neoliberale Wettbewerbslogik des Benchmarkings und des Rankings die alltägliche Medienperzeption und die Meinungsbildung der breiten Öffentlichkeit fest im Griff. Und so werden auch die eindeutig interessengeleiteten Erbsenzählereien des diesjährigen Bildungsmonitors als hochgradig wissenschaftlich und objektiv gefeiert.

Der taz aber stünde es besser zu Gesicht, die dahinter stehenden Interessen und die daraus resultierenden Akzente der Studie aufzudecken – also herauszustellen, was beispielsweise der Schluss bedeutet, dass „gute Bildung“ nicht mehr Einsatz erfordert, als die „demografische Rendite … im System“ zu lassen. Da geht es nämlich letztlich platterdings darum, dass nicht – wie in hohem Maße erforderlich –zusätzliche öffentliche Mittel in die Bildung fließen sollen, damit nur ja nicht das Volumen der Umverteilung nach oben angekratzt wird. OSWALD PANNES, Köln

Sozial benachteiligt, nicht schwach

■ betr.: „Büchergeld für Arme“, taz vom 18. 8. 11

Auch wenn die Stiftung selbst von den „sozial Schwachen“ spricht, so solltet Ihr doch das nicht einfach so übernehmen. Die, die gemeint sind, sind nicht schwach, sondern allenfalls benachteiligt. So wie Sprache schon immer ein Mittel zur Diskriminierung war, werden, wenn man „sozial schwach“ sagt, schnell aus der Unterstüzung Almosen – und die Unterstützung bekommt etwas Gönnerhaftes. Sozial benachteiligt – was auch eher den Realitäten entspricht – wäre der richtige Ausdruck. JÖRG RUPP, Malsch