„Ich bin bereit, mich zu knechten“

SABINE KUNST

„Frauen haben oft eine hohe Sensibilität für Zwischentöne. Ich spüre Konflikte, ohne dass sie schon genau ausformuliert sind. Ich halte das für einen großen Vorteil“ „Es ist sicherlich nicht ideal, was in einer ersten Umstrukturierung in Deutschland an Studiengängen entstanden ist. Andererseits ermöglicht das neue System eine bessere Begleitung der Studierenden“

Sie ist eine von sieben Frauen in Deutschland, die an der Spitze einer Universität stehen. Seit sechs Monaten leitet die 52-jährige Sabine Kunst die Uni Potsdam – und muss in der brandenburgischen Landeshauptstadt die Nachwehen der Umstellung auf Bachelor und Master managen. Keine leichte Aufgabe. Aber die zierliche Person ist nicht zu unterschätzen. Weil sie das Studium zur Wasserbauingenieurin langweilte, widmete sie sich parallel auch der Philosophie – und promovierte in beiden Fächern. Die gebürtige Friesin arbeitete sich in der Hierarchie der Universitäten hoch, erst in Hamburg, später in Hannover. Sie hat drei Kinder und einen Mann, der ihr zuliebe seinen Job bei einer Bank aufgegeben hat und mit nach Potsdam gezogen ist.

INTERVIEW ANTJE LANG-LENDORFF
UND GRIT WEIRAUCH

taz: Frau Kunst, was haben Sie, was andere Frauen nicht haben?

Sabine Kunst: Das wollen Sie von mir wissen? Vielleicht sollte Ihnen das jemand anderes sagen.

Warum so bescheiden?

Nun, es ist offensichtlich, dass es relativ wenige Präsidentinnen von Universitäten gibt. Die Frage ist, wie man dahin kommt. Ich denke, man braucht eine Kombination von Fähigkeiten, die sich im Laufe des Berufslebens entwickeln. Sehr hilfreich ist die Erfahrung, selbst Hochschullehrerin gewesen zu sein.

Trotzdem wird nicht aus jeder Professorin gleich eine Uni-Präsidentin.

Sicher braucht man auch eine gewisse Hartnäckigkeit und Stringenz. Ich entwickele die Dinge sehr systematisch. Wenn ich etwas durchsetzen will, überlege ich mir vorher eine Strategie. Wie organisiere ich einen Entscheidungsprozess, damit eine bestimmte Idee auch eine Chance auf Umsetzung hat? Ich bringe die Dinge zu einem Ende. Was ich mir vornehme, stelle ich auch fertig. Aber so ein Amt zu bekommen, ist nicht nur eine Frage von Fähigkeiten.

Sondern?

Man muss es wirklich wollen. Bei manchen Kolleginnen habe ich den Eindruck, die würden sich das gar nicht zumuten. Das fängt bei den hohen zeitlichen Anforderungen an. Wenn ich zwölf Stunden am Tag arbeite, ist das wenig. Man muss als Präsidentin bereit sein, sich ein Stück weit selber zu knechten.

Muss man dickhäutig sein?

Ja und nein. Frauen haben oft eine hohe Sensibilität für Zwischentöne. Ich spüre Konflikte, ohne dass sie schon genau ausformuliert sind. Ich halte das für einen großen Vorteil. Andererseits muss man auch unangenehme Dinge wegstecken können. Als Präsidentin einer Universität haben Sie nur noch begrenzt eine vertrauensvolle Rückkopplung in das eigene Haus. Die Einsamkeit nimmt mit der Stellung zu. Ich akzeptiere das, weil es zu so einer Position gehört. Aber das ist nicht jedermanns Sache.

Nun sind Sie Präsidentin und haben selbst die Möglichkeit, Frauen zu fördern. Was wollen Sie konkret tun?

Die Universität Potsdam hat bereits verschiedene Mentoring- und Förderprogramme für Studentinnen und Doktorandinnen. Erstaunlicherweise höre ich aber gerade von den jungen Wissenschaftlerinnen, für die diese Programme gedacht sind, dass sie das nicht bräuchten. Die wollen sich gar nicht mit ihrer Rolle als Frau in der Wissenschaft auseinandersetzen, weil sie in einer Art Elfenbeinsystem arbeiten, das suggeriert, es gäbe kein Problem.

Eine Illusion?

Die Erfahrung von vielen, die das eine oder andere Lebensjahr mehr auf dem Buckel haben, ist, dass man die Schwierigkeiten oft erst bemerkt, wenn man das schützende System verlässt. Wenn man gegen Mauern läuft, deren Verfugungen so gar nicht zu sehen sind. Man fragt sich: Warum sind die so stabil?

Wann haben Sie selbst begriffen, dass es diese Mauern gibt?

Erst deutlich nach meiner Promotion als Wasserbauingenieurin. Ich habe mich gequält mit Überlegungen, wie ich in der Hochschule Fuß fassen kann. Es klappte weder bei der ersten, zweiten noch bei der dritten Bewerbung. Für mich war überhaupt nicht einsichtig, wieso. Das ist eine Weile her, aber die Strukturen sind heute nicht anders.

Wie haben Sie es geschafft?

Schon damals mit Hartnäckigkeit. Ich habe systematisch überlegt: Wen kann ich ansprechen? Was kombiniere ich mit meinen Fähigkeiten, um aus der Masse herauszustechen? So habe ich zum Beispiel noch Spanisch gelernt. Sich offensiver selbst verkaufen, das können ja die wenigsten Frauen gut.

Mussten Sie das auch erst lernen?

Selbstverständlich. Ich bin von meiner Grundnatur eher schüchtern und musste mich immer in den Hintern treten, um solche Dinge zu machen. Die ich dann erstaunlicherweise aber gekonnt habe. Das war für mich manchmal selbst eine Überraschung.

Haben Sie die Schüchternheit heute abgelegt?

Man kann das sehr weit abbauen. Aber eine Grundzurückhaltung ist mir geblieben. Es gibt ja Menschen, die kommen in einen Raum, gehen sofort in die erste Reihe und stellen sich dort auf ein Podest. Ich mache und lebe das heute, es gehört zu meiner Rolle, aber ich habe es antrainiert. Wenn ich privat unterwegs bin, dränge ich mich nicht in den Vordergrund.

Wenn Sie ins Theater gehen, setzen Sie sich lieber nach hinten?

Das kommt darauf an, ob ich da mit meiner kleinen Körpergröße noch etwas sehen kann. Nein, ich würde mir wohl am ehesten einen Platz in der Mitte suchen.

Sie sagen, Sie haben versucht, aus der Masse herauszustechen. Auffällig an Ihrem Lebenslauf ist, dass Sie zusätzlich zu Ihrem Doktor in Wasserbauingenieurswesen auch noch in Philosophie promoviert haben. Warum?

Ich hatte das Gefühl, da fehlt noch was. Biologie und Chemie haben mir schon in der Schule besonders gefallen, aber auch Politik und Deutsch. Ich konnte mich nie entscheiden. Irgendwann fand ich auch die Kombination aus Ingenieursstudium und Naturwissenschaften eingeschränkt, ja langweilig. Mich störte der Tunnelblick. Also habe ich mich mit Philosophie beschäftigt. Das ist eine ganz andere Art und Weise, an Forschungsgegenstände heranzugehen. Das Reflektive, Diskursive der Geisteswissenschaften ist für mich eine wichtige Ergänzung zu dem rein Zweckorientierten der Ingenieursdisziplin.

Sie haben also ein universelles Bildungsideal?

Ich habe schon den Willen, mehr als nur eine Linie einer Nutzung und Beschreibung eines Gegenstandes zuzulassen. Aber ein universelles Bildungsideal, das ist mir zu allgemein. Das mag für manche interessant sein, für mich wäre das zu wenig zielgerichtet. Ich muss schon wissen, wozu ich was mache. Sonst reicht meine Selbstmotivation nicht aus. Da lege ich mich lieber in die Sonne und mache gar nichts.

In Ihrer Antrittsrede im Januar sprachen Sie vom „eigenverantwortlichen Sich-selbst-Bilden“. Was meinten Sie?

Das ist eine Kurzformel für mein Anliegen, eine gewisse Flexibilität auch in den neuen Studienstrukturen von Bachelor und Master zu erhalten. Die Studierenden sollen die Module so kombinieren können, dass ihre Begabungen ausgebildet werden. Wir wollen uns in Zukunft stärker auch um die Studieneingangsphase bemühen. Sie soll eine Initialzündung sein, damit die Studierenden sich wirklich bilden, damit sie lernen, zu lernen.

Dafür gab es in den Magister- und Diplomstudiengängen mehr Freiraum. Bedauern Sie die Entwicklung?

Es ist sicherlich nicht ideal, was in einer ersten Umstrukturierung in Deutschland an Studiengängen entstanden ist. Andererseits ermöglicht das neue System eine bessere Begleitung der Studierenden. Im alten System hat man sie zu sehr sich selbst überlassen. Das sieht man an den hohen Abbrecherquoten, besonders in den Geisteswissenschaften. Da erwarte ich Verbesserungen.

Die Betreuung ist bisher nicht besser geworden. Im Gegenteil, viele Lehrkräfte sind mit den neuen Aufgaben überfordert.

Das stimmt. Es klemmt an allen Ecken und Enden im Moment. Die neuen Betreuungsverhältnisse müssen erst einmal umgesetzt werden. Dazu muss man genug Leute haben. Weder Berlin noch Brandenburg erheben Studiengebühren. Das hat sicherlich Vorteile. Es hat aber auch den Nachteil, dass es keine neuen Ressourcen gibt, die für die Lehre verwendet werden können.

Sie sind für Studiengebühren?

So kann man das nicht sagen. Ich bin da ambivalent. Führt man Studiengebühren ein, besteht schließlich auch die Gefahr, dass die Studierenden wegbleiben. Das kann nicht unser Ziel sein. Wir schauen deshalb erst mal, was für Erfahrungen andere Bundesländer mit den Gebühren machen.

Auch ohne Gebühren müssen viele Studierende nebenbei jobben. Eine Umfrage an der Humboldt-Uni hat gezeigt, dass sie mit den neuen Studienordnungen überlastet sind.

Das ist leider richtig. Deshalb sind wir am Überlegen, wie wir hier zu einer Lösung kommen. In Potsdam ist die alte Studienstruktur ziemlich eins zu eins in Bachelor und Master überführt worden. Wir werden noch mal alle Studienordnungen einzeln durchgehen müssen und schauen, welche Studiengänge und Kombinationen wirklich sinnvoll und in der gegebenen Zeit zu machen sind.

Sie sind jetzt seit einem halben Jahr Präsidentin der Universität Potsdam. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Amtshandlung?

Ja. Ich habe zuallererst das Büro umgeräumt. Man hat hier ja einen tollen Blick auf das Neue Palais von Sanssouci. Das ganze Zimmer war darauf ausgerichtet. Ich hab dann den Schreibtisch umgedreht, um nicht immer das Gebäude zu sehen, sondern die Menschen, die zur Tür hereinkommen. Der schöne Ausblick ist jetzt meinen Besuchern vorbehalten. Und ich habe Sanssouci im Rücken, das ist auch nicht schlecht.

Inzwischen haben Sie sich auch privat eingerichtet. Ihre Familie ist Ihnen kürzlich von Hannover nach Potsdam hinterher gezogen. War das eine schwierige Entscheidung?

Es gibt eine langjährige Vereinbarung zwischen mir und meinem Mann. Wir sind im Laufe der gemeinsamen Jahrzehnte mehrfach umgezogen, mal seinetwegen, mal meinetwegen. Nach sieben Umzügen ging es unserem ersten Sohn gar nicht gut. Da haben wir entschieden, in Hannover zu bleiben, wegen der drei Kinder. Aber weil auch die Kleinste inzwischen Abitur hat, kann es nun nach meinen Plänen gehen. Mein Mann hat seinen Job bei einer Bank aufgegeben und hat sich mir, ohne zu murren, angeschlossen.

Sie haben einen unheimlich langen Titel: Prof. Dr. Ing. habil. Dr. phil. Wie fühlt man sich damit?

Mein Mann hat gescherzt, ich sei dekoriert wie ein Pfingstochse, das würde für die ganze Familie reichen. Ich leide natürlich nicht darunter. Aber ich trage die Titel auch nicht besonders vor mir her. Es ärgert mich nur, wenn in Fakultätsgesellschaften mit Ingenieuren die philosophischen Titel nicht erwähnt werden. Da gucke ich dann schon drauf. Gerade wenn ich weiß, dass andere furchtbar eitel mit so etwas sind.

Wenn nichts dazwischenkommt, haben Sie noch mindestens fünf Jahre als Präsidentin vor sich. Besteht bei Ihnen die Gefahr, dass Sie mit dem Amt abheben?

Die Gefahr besteht immer. Aber ich glaube, dass ich mit meiner Familie und meinen Freunden eine ganz gute Erdung habe. Die wirken für mich als Relativ. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, weiß ich: Ich mag meine Arbeit, und ich stecke unheimlich viel Energie hinein. Aber sie ist nicht alles.