Keine blaue Welle

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Eine rechte Mehrheit, eine nie zuvor dagewesene Polarisierung der Politik und eine rekordhohe Enthaltung der WählerInnen sind die Eckdaten des zweiten und letzten Durchgangs bei den gestrigen Parlamentswahlen in Frankreich. Die UMP, die im vorigen Parlament 359 Abgeordnete hatte, behält zwar ihre parlamentarische Mehrheit. Doch hat sie die angestrebte Zweidrittelmehrheit verfehlt und Sitze verloren. Sie bekommt voraussichtlich 321 Sitze. Die Fraktion der Sozialisten (PS) im Parlament ist stärker geworden. Die PS, mit zuvor 149 Abgeordneten, ist offenbar weit über 233 Sitze gekommen. Zwischen den beiden großen Blöcken von UMP und PS werden die kleinen Parteien nicht so komplett zermalmt wie erwartet. Aber sie verlieren ihren Fraktionsstatus. Nur die neue rechte Zentrumspartei der SarkozyfreundInnen hat sich gehalten. Die KPF behält 19 Sitze und leistet damit unerwartet tapfer Widerstand gegen ihren vorausgesagten Tod. Auch die Grünen haben sich gut geschlagen. Statt zuvor drei Abgeordneten bekommen sie im neuen Parlament vier.

Sarkozys rechte Partei verfügt damit über eine Mehrheit im Parlament. Zusammen mit den sarkozygetreuen rechtsliberalen verfügt sie über 341 Sitze im Parlament. Gemeinsam können sie die Regierung bilden und jedes beliebige Gesetz durchsetzen. Aber die vielfach angekündigte blaue Welle ist nicht über das Parlament gegangen. Die UMP hat ihr Ziel, „die größte mögliche Mehrheit“ eindeutig verfehlt. Die MeinungsforscherInnen hatten teilweise mehr als 400 Abgeordnete für die UMP für möglich gehalten. Sie waren von einem Herdentrieb der WählerInnen ausgegangen, die traditionell dem soeben gewählten Präsidenten eine starke parlamentarische Mehrheit aus seiner eigenen Partei zur Seite stellen.

Offenbar wollten die WählerInnen dieses mal ein gewisses Maß an Nuancierung im Parlament haben. Eine derartige Korrektur zwischen dem ersten und zweiten Durchgang bei Parlamentswahlen hat es in der V. Republik nicht gegeben. PS-Chef Hollande dankte nun den WählerInnen, er sprach von einer „Kraft gegenüber der neuen Macht, die ein Gleichgewicht in der Demokratie“ ermögliche: „Frankreich wird auf seinen beiden Beinen gehen.“

Trotz der gestärkt aus dem zweiten Durchgang der Parlamentswahlen hervorgegangenen PS repräsentiert das neue Parlament keineswegs das reale Frankreich. Dafür sorgt vor allem das „romanische Mehrheitswahlrecht“, das die stärksten Gruppen im Parlament stärker und die schwächeren schwächer spiegelt. Kleine Formationen kommen bei diesem System überhaupt nicht ins Parlament – auch wenn die Zahl ihrer WählerInnen – wie im Fall der trotzkistischen LCR etwa, eine Million im ersten Durchgang weit überschritten hat.

In den vergangenen 50 Jahren hatte es linke wie rechte Bündnisse mit Zweidrittel-Mehrheit (385 Sitze) gegeben. In drei Fällen kontrollierte eine Partei allein das Parlament. 1993 standen nur 53 sozialistische Abgeordnete einem rechten Bündnis gegenüber, das mit 449 Sitzen eine Drei-Viertel-Mehrheit besaß. In Frankreich begünstigt das Mehrheitswahlrecht klar die stärkste Kraft. Von den elf Ministern der Regierung des Premiers François Fillon, die sich um Mandate bewarben, waren sieben in der ersten Runde gewählt worden.