Lynch legt sich mit vielen an

Loretta Lynch kommt mit verdächtig vielen Vorschusslorbeeren nach Washington. Sie sei, sagt Barack Obama, als er sie vorstellt, „die vielleicht einzige Anwältin in Amerika, die gegen Gangster, Drogenlords und Terroristen kämpft und dabei außerdem noch eine charmante, gesellige Person“.

Die 55-jährige Juristin soll, wenn es nach dem Präsidenten geht, nächste Justizministerin werden. Sie wäre die erste afroamerikanische Frau in dem Amt. Ihre Chancen, die Zustimmung des Kongresses zu bekommen, der normalerweise auf Blockade programmiert ist, stehen gar nicht so schlecht. Die Republikaner haben Lynch bereits zweimal widerspruchslos als Staatsanwältin im Osten von New York akzeptiert. In beiden Amtszeiten schaffte sie es, parteiübergreifend zu überzeugen. Zwischen ihren beiden öffentlichen Ämtern in Brooklyn arbeitete sie in einer privaten Anwaltskanzlei.

Zu Lynchs großen Fällen als Staatsanwältin in New York gehört die Verurteilung weißer Polizisten, die den schwarzen haitianischen Einwanderer Abner Louima sexuell misshandelt haben. Lynch hat auch Korruption in beiden Parteien verfolgt. Und sie hat große Banken zu Milliarden Dollar hohen Einigungen gezwungen, darunter die HSBC wegen Geldwäsche in Mexiko und die Citigroup wegen Hypothekengeschäften. Gegenwärtig bearbeitet sie einen weiteren Fall von Polizeigewalt in New York: den Erstickungstod des Zigarettenverkäufers Eric Garner.

Falls sie nach Washington wechselt, tritt Lynch in die Fußstapfen Eric Holders, eines der engsten Verbündeten Obamas. Der Justizminister, der im September seinen Rücktritt angekündigt hat, hinterlässt eine durchwachsene Bilanz. Er hat sich ungewöhnlich deutlich gegen rassistische Diskriminierungen ausgesprochen. Doch während seiner Amtszeit hat es immer wieder tödliche Gewalt von Uniformierten gegen Afroamerikaner gegeben und Hürden für das Wahlrecht von Minderheiten sind entstanden. Auch in anderen Bereichen, von Guantánamo bis zum Drohnenkrieg und einer Rekordzahl von Verfahren gegen Whistleblower, hat Holder enttäuscht. Kein Wunder, dass an Lynch hohe Erwartungen gestellt werden. DOROTHEA HAHN