Reise in ein politisch ereignisloses Land

CHINA In den Berichten zum Deutschlandbesuch von Premier Wen Jiabao kam das Gastland kaum vor

In Peking gehört es inzwischen zum guten Ton, sich über die „unfreundliche Berichterstattung“ westlicher Korrespondenten, vor allem der deutschen, zu beklagen. Vor wenigen Tagen erst forderte ein früherer Botschafter in England die ausländischen Journalisten auf, sich ein Beispiel an den chinesischen Kollegen zu nehmen. „Die chinesischen Medien berichten über andere Länder gemäß der traditionellen chinesischen Kultur im Allgemeinen aus einer sehr freundlichen Perspektive heraus“, sagte er. Als Beispiel nannte er etwa Berichte darüber, „wie fortschrittlich die Wirtschaft anderer Länder“ ist.

Wie also berichteten die chinesischen Medien in den vergangenen Tagen über Deutschland, das gerade Premierminister Wen Jiabao mit einer großen Regierungsdelegation besucht hat? Wie schilderten und analysierten sie die Begegnung der Regierungschefs und Minister in Berlin am Montag und Dienstag, die mit einer gemeinsamen Erklärung über die künftige Zusammenarbeit endete? Fazit: Über das Gastland Deutschland und über seine Probleme erfuhren die chinesischen Leser wenig. Ihr Premier bewegte sich mithin in einem politisch ereignislosen Land. Eine Auswahl:

„Deutscher Unhold isst Menschenfleisch und trinkt menschliches Blut“, lautete eine Überschrift der auf außenpolitische Themen spezialisierten Pekinger Zeitung Huangqiu shibao (Global Times) am Dienstag. Auf der Seite für „Vermischtes“ brachte sie das Bild eines deutschen Wohnhauses, das auf dem Kopf stand. Keine Zeile über den Wen-Besuch in Berlin.

Die Pekinger Volkszeitung, Organ der Kommunistischen Partei, veröffentlichte zum Auftakt des Berlinbesuchs am Montag einen langen Überblick über die Beziehungen beider Staaten in den vergangenen Jahrzehnten.

Die Xinjing Bao (Pekinger Nachrichten) hatten ein Interview mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle geführt, in dem sie ihn nach der Bedeutung eines zunehmend einflussreichen Chinas für Deutschland und die Welt fragten. Die wichtigsten Nachrichtenwebseiten veröffentlichten derweil Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua über die Empfangszeremonien in Berlin. Sie zitierten den chinesischen Botschafter in Deutschland, der den Besuch als „kurz, reichhaltig und fruchtbar“ charakterisierte. Statistiken informierten über gemeinsamen Handel und Investitionen.

Von den Regierungskonsultationen erfuhren die Pekinger am Mittwoch wenig. Die Pekinger Nachrichten sowie die beiden großen Hauptstadtblätter Pekinger Jugendzeitung und Chinesische Jugendzeitung erwähnten Deutschland mit keinem einzigen Wort.

Die Global Times, die vor allem von Intellektuellen gelesen wird, hingegen war aufgewacht und widmete der Europareise Wens schließlich doch noch eine ganze Seite. Deutschland aber kam nur kurz vor – mit in der Deutschen Welle veröffentlichten Kommentaren über den Besuch. „China und Deutschland haben große Aufträge im Wert von 15 Milliarden US-Dollar unterzeichnet“, hieß es. Zufrieden zitierte das Blatt: „Nachdem diese Nachricht am 28. Juni bekannt wurde, verschwanden die Menschenrechte plötzlich aus dem Fokus der deutschen Medienberichte.“ JUTTA LIETSCH, PEKING