Wiener Schmäh

Ein Jahr vor der Europameisterschaft steht Österreichs Nationalmannschaft vor einem Problem: Sie spielt schlecht und wird auch noch angefeindet

„Es ist wohl noch nicht genug Gras über die Sache gewachsen“

AUS WIEN FRANK HELLMANN

Der Wiener Mob stand bereits auf dem Zaun. Nur wenige Meter vom Erzfeind entfernt, der gerade zur Ausführung einer Ecke getreten war. Junge Menschen mit verzerrten Gesichtern schrien und zeterten, reckten Zeigefinger in die Höhe, warfen Becher und Feuerzeuge, schimpften und spuckten. Und wäre nicht das dichtmaschige Fangnetz gewesen, Handgreiflichkeiten wären im Gerhard-Hanappi-Stadion wegen des überforderten Ordnungsdienstes unausweichlich gewesen. Andreas Ivanschitz, Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft, trat zwar wacker weiter jeden Eckball, doch auch an ihm gingen die grotesken Szenen eines Länderspiels nicht vorüber, das eigentlich zur Einstimmung auf die in fast genau einem Jahr beginnende Europameisterschaft gedacht war.

Doch weit gefehlt: Weniger die 0:1-Niederlage gegen Schottland als das skandalöse Verhalten der eigenen Anhänger ernüchtert Fußball-Österreich. Während aus der Westkurve permanent Stimmung gegen den eigenen Mann gemacht wurde und ehrabschneidende Plakate aufgehängt waren („Judasschitz: raus aus Hütteldorf“), versuchte es das Gros mit aufmunterndem Beifall. Allein: Gegen die stimmgewaltige wie dummköpfige Rapid-Gefolgschaft, des Vereins mit dem größten Fan- und Gewaltpotenzial im Land, kam der gemeine Wiener unter nur 13.200 Zuschauern kaum zu Wort. Dazu muss man wissen: Bis zum Winter 2005/2006 war Ivanschitz im Hanappi-Stadion, der Heimat von Rapid Wien, das Idol, ehe er dem finanziellen Lockruf von Red Bull Salzburg erlag. Beim amtierenden Meister setzte sich der Spielmacher nicht durch, spielt seitdem in Griechenland bei Panathinaikos Athen. Das Ländermatch war sein erster Auftritt in der alten Heimat – und eine Blamage für die Alpenrepublik.

„Manchmal geniere ich mich, ein Österreicher zu sein. So etwas gibt es in keinem anderen Land der Welt. Das war Terror!“, sagte Verbandschef Friedrich Stickler mit stockender Stimme, während Bundespräsident Heinz Fischer geschockt auf der VIP-Tribüne saß. „Ich hatte das leider erwartet“, sagte Teamchef Josef Hickersberger mit trauriger Stimme, „ich schäme mich, Rapid-Trainer gewesen zu sein.“

Ivanschitz ist für ihn nicht irgendwer: Der blondierte Fast-Dreißiger ist nicht nur einer der wenigen Profis, die noch im Ausland gefragt sind, sondern auch Kapitän und Taktgeber einer weitgehend gesichtslosen ÖFB-Auswahl. „Die Hoffnung der Nation“, titelte die Kronen-Zeitung. Nur gut, dass der bei einigen so verhasste Hoffnungsträger während und nach dem Match zumindest äußerlich die Fassung bewahrte. Keine abfällige Geste, keine aggressive Tonart. „Es ist wohl noch nicht genug Gras über die Sache gewachsen“, erklärte Ivanschitz, wichtig sei ihm, „dass 95 Prozent der Leute hinter mir gestanden haben.“

Und doch findet die Minderheit einen Widerhall, der in der Einstimmung auf die Euro 2008 einem mittelschweren Skandal gleichkommt. Der wiederum steht symbolisch für die vielen kleinkarierten Scharmützel, die den österreichischen Fußball immer noch lähmen. Finanzpleiten, Bestechung, Offenbarungseide: Die Liga steht sich selbst im Wege, und auch die Nationalelf kommt in der vertrackten Gemengelage so kaum voran. Im Jahr 2007 ist sie immer noch sieglos, 2006 hat sie gegen Ungarn, Kanada und Venezuela verloren.

Die Affäre Ivanschitz gibt eine neue Dimension vor: Nicht wenige in der Alpenrepublik werten den Imageschaden als ähnlich verheerend wie die legendäre 0:1-Niederlage gegen die Färöer Inseln von 1990. Auch damals hieß der Teamchef Hickersberger, der nun ein zweites Mal in der Verantwortung steht. Am Mittwochabend wirkte der 59-Jährige ähnlich angeschlagen. „So was darf nicht passieren“, stammelte der ehemalige Bundesligaprofi, „das hat mich getroffen.“ Sogleich empfahl der spitzzüngige Nationalcoach einigen Rapid-Fans, „am Samstag besser daheim zu bleiben“. Morgen testet die ÖFB-Auswahl nämlich erneut im Hanappi-Stadion (gegen Paraguay) und vieles deutet daraufhin, dass sich das unwürdige Schauspiel wiederholt. Nur gut, dass die Österreicher zu ihrem EM-Auftakt am 8. Juni 2008 ausnahmslos im derzeit wegen Renovierung geschlossenen Ernst-Happel-Stadion antreten. Das Oval am Prater gilt in Wien selbst für die verblendetsten Anhänger als neutraler Ort.