Admiral

ZUSAMMENSEIN Zu Hause bei Tommi, Jensi und Dirki lebt ein blauer Vogel. Brust raus, Schnabel hoch – das Tier hat Haltung. Wie Papa. Eine Kurzgeschichte

■  Was Papas sagen: Laut Familienreport 2010 beklagen 40 Prozent der Väter mit Kindern unter 18, zu wenig Zeit für ihre Familie zu haben. Als Grund nennen über ein Drittel berufliche Belastung. Kochen und Putzen übernehmen laut Report überwiegend die Frauen.

■  Was Kinder finden: Nur 44 Prozent der Kinder sagten 2010 in einer repräsentativen Befragung für das Magazin Geolino, dass die Väter werktags genug Zeit mit ihnen verbringen. Für Mütter ist der Wert fast doppelt so hoch.

■  Was sich tut: 2009 nahm immerhin jeder fünfte Vater Elternzeit. Rund 60 Prozent der Männer behaupten, sie wären bereit, Elternzeit zu nehmen.

VON NADJA KLINGER

Admiral ist der beste Freund von Tommi, Jensi und Dirki. Er trägt eine blaue Uniform. Die Farbe ist selten in seiner Gattung. Er hüpft auf seiner Stange seitwärts, gibt sich einen Ruck, streckt die Brust raus und hebt den Schnabel. Die Jungen hocken vor dem Vogelbauer, als erwarteten sie seinen Befehl. Es hat nicht lange gedauert, bis ihnen der Name für ihn eingefallen war. Er ist ein besonderes Exemplar. Mama sagt: „Wie Papa.“

Admirals Körperhaltung ist tadellos. Tommi ist hin und weg. Denn von Papa weiß er: Auf die Haltung kommt es an, mit der ein Fußballer aufläuft! Den Sieger erkennt man schon am Start! Aufrecht haben seine männlichen Vorfahren schon zu Urzeiten die Jagdbeute aus dem Wald ans Feuer geschleppt!

Jensi übt den schrillen Ton, mit dem der Vogel den Jungen wirkungsvoll in die Sätze fällt. Es klingt jedes Mal, als hätte das Tier tatsächlich etwas zu sagen. Als lohnte es sich, das Gehörte zu überdenken. Zumindest zu respektieren, dass sich Admiral aus Erfahrung äußert.

Wenn Dirki von ganz oben Stubenarrest verhängt bekommt und sich mit der Frage langweilt, warum es nur zu seinem Guten sein kann, wie das Böse behandelt zu werden, schaukelt Admiral mit dem Köpfchen. Wie sagt Papa? Jede Situation eignet sich für einen Witz, auch der Tod!

An den Wochenenden arbeitet Mama den aktuellen Vogelbetreuungsplan aus. Sie erledigt das, wenn sie auch die Hausaufgabenhefte der Jungen durchsieht, mit Lehrern korrespondiert, Klassenarbeiten unterschreibt, Arzttermine plant, Elternversammlungen in ihren Terminkalender rammt, den Einkaufsplan und die Liste mit Erledigungen für die Familie erstellt. Sie nennt das: „in einem Abwasch.“ Die Woche hat sieben Tage. Gerechterweise hat jedes Kind an zwei Tagen Vogeldienst. An dem Tag, der übrig bleibt, trägt sich Mama selbst in den Plan ein.

Mama hat Admirals Hauptquartier ans Fenster verlegt, da er, als er oben auf dem Schrank wohnte, immer nur in der sonnigen Ecke des Vogelbauers saß. Sie ist auf die Leiter gestiegen, die Papa reparieren will, seit sie vor vielen Monaten mit ihm die Grätsche machte und er beim „Seht ihr, gekonnt abgerollt!“ die kostbare Weihnachtsbaumspitze seiner weiblichen Vorfahren zerbrach.

Natürlich hat sich ins Zusammensein mit Admiral der Gewöhnungseffekt eingeschlichen. Der Mensch schätzt nicht für längere Zeit, was er hat. Vom Standpunkt des Vogels aus ist es absolut angebracht, sich in Szene zu setzen, wenn die Jungen die Köpfe zusammenstecken und flüsternd neue Vorhaben aushecken. Er hüpft dann nicht mehr seitwärts, sondern schlägt mit den Flügeln und wirft sich lautstark gegen die Verstrebungen des Käfigs. Randaliert. Bis Mama erscheint. Sie schließt hinter sich sofort die Tür. „Seid ihr des Teufels!“, zischt sie und straft mit einem strengen Blick die ganze Kompanie: Tommi, Jensi, Dirki und Admiral. „Papa arbeitet!“

Wenn die Jungen die Köpfe zusammenstecken, wirft er sich gegen den Käfig. Er randaliert

Wenn Admiral durchs Kinderzimmer fliegt, wischt Mama die Vogelkacke auf. Ohne zu murren. Sie sagt: „Das ist doch Familie.“ Mama schreibt Zettel: SAUBERMACHEN! FUTTER KAUFEN! KÄFIGTÜR ZU! „Mama hat Angst, dass er wegfliegt“, sagt klein Dirki. Tommi, der Älteste, sagt: „Sie fürchtet sich davor, dass wir traurig sind.“

„Er ist weeeeg!“, schreit Jensi am Samstagmorgen. Mama kommt gerannt. Sie ist noch im Nachthemd: „Psst, Papa schläft!“ Sie suchen in allen Zimmern. Fast eine Stunde lang. Drei heulende Jungen.

Papa sitzt mit der Zeitung auf dem Klo, da sieht er den Vogel im geöffneten Badfenster sitzen. Wie blau ist der denn?, denkt er, das ist doch nicht normal. „Schschscht!“, macht Papa. Der Vogel schaukelt nur mit dem Köpfchen. Papa wirft einen Pantoffel. Der Vogel hupft kurz in die Höhe. Das komische Vieh hat eine bemerkenswerte Haltung! Papa setzt sich aufrecht, streckt sich vom Klo zur Badtür, öffnet und ruft: „Jungs! Gabi! Kommt mal schnell! Uns ist ein Vogel zugeflogen!“

Nadja Klinger ist Reporterin und Buchautorin in Berlin. Ihr neuestes Buch: „Über die Alpen. Eine Reise“