„Das Niveau war niedrig angesiedelt“

Die formalen Fehler beim Zentralabitur waren nicht das größte Problem, sagt Rektorin Frintrop-Bechthold aus Paderborn. Dass es für eigene Stellungnahmen weniger Punkte gab als für Reproduziertes, fand sie schlimmer

DORIS FRINTROP-BECHTHOLD, 54, leitet das Theodorianum-Gymnasium in Paderborn.

taz: Frau Frintrop-Bechthold, das erste Zentralabitur in NRW ist fast vorbei. War das eine gelungene Premiere?

Doris Frintrop-Bechthold: Für ganz gelungen halte ich diese Premiere nicht, weil es einige Haken gab, die einen barrierefreien Durchlauf behindert haben.

Meinen Sie das falsche Wort im Deutsch-Gedicht, die zwei Pannen in der Bio-Klausur und eine fehlerhafte Abbildung in der Chemie-Prüfung?

Solche Fehler können passieren, das halte ich für sekundär.

Aber beim baden-württembergischen Zentralabitur gab es laut Kultusministerium nie so viele Pannen.

Möglicherweise passiert so etwas beim ersten Durchlauf eher. Für problematischer halte ich aber strukturelle Dinge: Es sind Aufgaben so formuliert worden, dass die Schüler und Schülerinnen nicht wussten, was von ihnen erwartet wurde. Bei den Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Wirtschaft bekam man in einem Teilbereich deutlich mehr Punkte, wenn man Gelerntes reproduziert und reorganisiert hatte, als für den Teil einer Aufgabe, die eine begründete Stellungnahme verlangte. Das sind wir bisher nicht gewöhnt.

Also geht es im Zentralabitur mehr um die Abfrage von auswendig Gelerntem als um eigenständiges Denken?

Zumindest in diesem Beispiel. Wenn es für Lehrer nur darum geht, einen Kriterienkatalog abzuhaken und darauf zu achten, Begrifflichkeiten genannt zu bekommen, ist das ein Schritt in die falsche Richtung.

Waren Sie gegen die Einführung des Zentralabiturs?

Ich bin eine Befürworterin des Zentralabiturs. Es ist ein Instrument, das dafür sorgen kann, dass Standards flächendeckend durchgesetzt werden können. Die Vergleichbarkeit von Abschlüssen ist eher möglich und Schülerinnen und Schüler in NRW können sich auf dem gleichen Niveau vorbereiten. Aber ich sehe es als problematisch an, wo das Niveau angesetzt wird.

Bei den Probeklausuren war das Niveau zu hoch: Die Jugendlichen schnitten schlecht ab. Wie hoch war der Anspruch bei den jetzigen Prüfungen?

Mit einer Physik-Klausur gehen am Mittwoch die schriftlichen Prüfungen des ersten NRW-Zentralabiturs zu Ende. Pannen gab es bereits zuhauf – obwohl alle Prüfungen drei Mal kontrolliert wurden: Im Deutsch-Gedicht war ein sinnentstellender Fehler eingebaut. Im Fach Biologie war eine Grafik fehlerhaft. Auch in der gestrigen Chemiearbeit fanden sich zwei Fehler wieder.

Die Schülerinnen und Schüler, die die Aufgaben zu bearbeiten hatten, waren durchweg zufrieden. Kollegen und Kolleginnen sehen das etwas anders. Das Niveau ist doch niedriger angesiedelt gewesen als gedacht – es kam Stoff dran, den die Schüler zum Teil schon in der Mittelstufe durchgenommen hatten, wie zum Beispiel im Fach Chemie.

Nochmal zu den Fehlern: Sind die früher einfach weniger zum Vorschein gekommen?

Damals wie heute gab es eine Kommission, die die eingereichten Aufgaben geprüft hat. Früher wurden Vorschläge zurückgeschickt, weil die Interpunktion nicht stimmte oder die Textauswahl nicht befriedigend war. Darauf hätte man ruhig beim Zentralabitur noch einmal genauer schauen können.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN