„Der Islam wird auf Horrorthemen reduziert“

DIE KONVERTITIN Iman Andrea Reimann wird oft mit Vorurteilen gegenüber dem Islam konfrontiert. Dabei möchte sie einfach nur selbst die Frau Reimann sein. Die 41-Jährige sagt: „Es ist vollkommen in Ordnung, Muslima und Deutsche zu sein“

■ 1973 in Potsdam geboren, ist christlich in Ost- und Westberlin aufgewachsen. Die Mutter von zwei Töchtern ist gelernte Erzieherin und leitet eine Kita.

■ 1994 konvertierte sie zum Islam. Ihr Name Iman, den sie ein paar Monate nach Annahme ihres Glaubens wählte, bedeutet „die feste Gewissheit, dass es Gott gibt“.

■ Reimann ist Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises in Berlin.

■ Der Deutschsprachige Muslimkreis in Berlin ist eine islamische Gemeinde, deren Mitglieder teils gebürtige Deutsche sind, die zum Islam konvertierten, teils MuslimInnen mit Einwanderungshintergrund aus verschiedenen Herkunftsländern. Die vor über 20 Jahren gegründete Gemeinde mit knapp 100 Mitgliedern trifft sich jeden Samstag in einer Weddinger Moschee. (akw)

INTERVIEW ALKE WIERTH
FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Frau Reimann, dass junge Muslime aus Deutschland in Syrien oder im Irak in den Krieg ziehen, hat die Medien und die Öffentlichkeit hierzulande fast mehr beschäftigt als die Kriege in den Ländern selbst. Nervt es Sie nicht, dass Muslime und der Islam überwiegend als ‚Gruselthemen‘ in den Blickpunkt geraten?

Iman Andrea Reimann: Es nervt mich, wenn ich mit Menschen rede und immer wieder nur darauf angesprochen werde, was ‚da unten‘ passiert. Da wird die Normalität, das alltägliche Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen hier, ausgeblendet und der Islam auf solche Horrorthemen reduziert. Aber wir müssen uns mit der Betroffenheit der Menschen dennoch auseinandersetzen.

Wenn Sie ‚wir‘ sagen, meinen Sie die hiesigen Muslime. Die vertreten Sie ja etwa als Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises in Berlin. Wie gut gelingt es Ihnen, dass auch die Normalität, die alltägliche Lebenswelt der Muslime und nicht immer nur das Extreme gesehen wird?

Ich habe festgestellt, dass es nicht reicht, nur auf der großen Bühne zu agieren. Natürlich brauchen wir unsere Verbandsvertreter, die auf bestimmten Ebenen mit Verantwortungsträgern zusammenkommen. Aber in der ganz alltäglichen Zusammenarbeit, etwa als Kita-Leiterin oder bei meinem Engagement in der Bürgerplattform Wedding/Moabit, zeigt sich am besten, dass man in mir irgendwann nicht mehr nur die Muslima, sondern einfach den Menschen, die Frau Reimann sieht. Da öffnen sich wirklich andere Perspektiven, als die offizielle Ebene sie hat.

Was meinen Sie mit der „offiziellen Ebene“?

Denken Sie an den Brand der Mevlana-Moschee in Kreuzberg. Da hat ein Gotteshaus gebrannt. Doch erst, als feststand, dass es sich um Brandstiftung handelte, kam der Innensenator (Frank Henkel, CDU, Anm. d. Red.) vorbei. Normalität wäre doch, dass ein Politiker, ein Vertreter des Landes, auch mal kommt, um einfach sein Bedauern auszudrücken, dass eine Religionsgemeinschaft seines Landes solch einen Verlust erlitten hat. Doch da ist immer die Angst, sind das Extremisten? Das merke ich oft auch uns Konvertiten gegenüber: Ihr seid radikal, weil ihr Konvertiten seid. Man wird immer mit solchen Schablonen belegt. Das ist anstrengend.

Tatsächlich spielen KonvertitInnen eine große Rolle, einerseits bei den Bemühungen um ein gesellschaftliches Alltagsverständnis um die gegenseitige Akzeptanz. Aber andererseits offenbar auch unter den Radikalen, die in die Kriege ziehen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Das sind ja meist junge Männer, die das tun. Ich glaube, es könnte für viele von ihnen auch eine andere Gruppierung sein, sei es eine extrem rechte oder extrem linke, der sie sich anschließen. Und manche missbrauchen eben den Islam als etwas, wo sie ihre Radikalität ausleben können. Wir beobachten, dass das bei vielen erstmal ganz normal anfängt: Es entwickelt sich ein Interesse am Islam, das immer stärker wird – aus ganz unterschiedlichen Gründen, vielleicht, weil man muslimische Freunde hat. Gerade wenn man neu ist als Muslim – das gilt auch für geborene Muslime, die den Islam für sich neu entdecken – beschäftigt man sich sehr intensiv mit der Religion. Wenn man dann auf bestimmte Akteure trifft, beginnt eine Veränderung. Und die wiederum gucken sich gerne junge Männer aus, die neu und auf der Suche sind. Weil die oft anfällig sind für Leute, die ihnen sagen: Nur so ist das richtig, anders nicht!

In den deutschen Medien werden diese jungen Männer oft als aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammend beschrieben. Viele, so liest man, sind bereits vorbestraft. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Nein, nicht ausschließlich. Ich habe auch von anderen Fällen gehört – ganz normale Familien sozusagen. Gerade bei jungen Leuten auch aus muslimischen Familien gibt es meist irgendwann einen Punkt, wo sie meinen, es besser zu wissen als ihre Eltern. Und es ist eben manchmal auch sehr schwer, zu erkennen, wo und wann Radikalisierung anfängt.

Eltern, deren Kinder in die rechtextreme Szene abgleiten, sind oft hilflos. Was könnten muslimische Eltern denn tun, deren Kinder sich radikalisieren?

Ich denke, es ist wichtig, gut hinzuhören, womit ein Kind sich beschäftigt, und dann darüber zu reden, sowohl mit dem Kind wie auch mit anderen. Und wenn man merkt, dass man selbst keinen guten Zugang zu dem Kind mehr bekommt, auch Leute des Vertrauens dazuzuholen, die mal ein Gespräch mit dem Jugendlichen führen. Damit der sieht, dass das nicht nur die Sichtweise der eigenen Eltern ist, die diese vertreten. Wir Muslime haben ja zudem immer die Möglichkeit, nach Belegen zu fragen: Wo nimmst du das her, dass das nur so und so richtig ist? Wichtig ist auch, sich nicht aus Scham darüber, dass das eigene Kind sich nicht so entwickelt, wie man gerne möchte, nach außen abzuschotten. Sondern – vielleicht in der Moscheegemeinde – mit anderen darüber zu reden und Solidarität und Unterstützung zu bekommen.

Ist diese Scham ein Problem in der muslimischen Gemeinde?

Ja, klar. Es ist doch für niemanden einfach, sich anderen zu öffnen, wenn in der eigenen Familie etwas nicht gut läuft. Das ist unter den Muslimen nicht anders. Es gibt die Angst davor, dass andere sagen könnten: Die kriegen ja nichts auf die Reihe.

Und die nicht-muslimische Umgebung reagiert vermutlich auch mit Vorwürfen?

Überwiegend, ja. Wie erziehen die denn ihre Kinder, heißt es dann oft.

Wer kann denn helfen?

Ich glaube, dass den Moscheegemeinden da eine große Rolle zukommt. Doch auch dort sind die Ressourcen begrenzt.

Denen wird ja teilweise selbst unterstellt, sie rekrutierten Kämpfer.

Das halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Das sind vielleicht irgendwelche selbsternannten Imame, die so etwas tun. Was eher eine Schwierigkeit mancher Moscheegemeinden ist, ist, darauf zu achten, wer geht ein und aus? Die meisten Gemeinden haben einen Stamm von Menschen, die regelmäßig kommen, sich engagieren und sich kennen. Und dann gibt es eben auch viele Besucher, die nicht so regelmäßig kommen. Natürlich freuen sich alle Moscheevorstände, wenn ihre Gemeinden gut besucht sind. Aber sie müssen eben auch darauf achten, wer zu ihnen kommt. Da sind manche vielleicht zu nachlässig. Dabei hat das nichts damit zu tun, diese Leute zu kontrollieren. Es geht darum, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Das ist eine Fürsorgepflicht, die man als Moscheevorstand wahrnehmen sollte.

Ganz viele auch Berliner Muslime haben sich öffentlich, etwa auf Facebook, deutlich von Bewegungen wie etwa dem Islamischen Staat distanziert, dessen Kämpfer als Verbrecher und Terroristen bezeichnet. Ist das ein Thema bei den Berliner Muslimen?

Auf jeden Fall! Das beschäftigt die Muslime hier sehr. Und solche öffentlichen Positionierungen, die sich auch mit den Positionen auseinandersetzen, die etwa der Islamische Staat propagiert, sind auch ganz wichtig für die Aufklärung gerade von jungen Muslimen, die Gefahr laufen, diesen Radikalen auf den Leim zu gehen. Damit sie verstehen, dass das Müll ist, was diese ihnen erzählen. Dass sie nur Kanonenfutter für deren Interessen sind. Das Gute am Islam ist ja, dass man immer auf der Suche nach mehr Wissen sein soll, immer wieder dazulernen kann.

Sie sind selbst vor genau 20 Jahren zum Islam konvertiert. Haben Sie das je bereut?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich habe auch verschiedene Phasen durchlaufen, seit ich diesen Schritt vollzogen habe.

Inwiefern?

Anfangs dachte ich, um eine gute Muslima zu sein, müsste ich quasi auch Araberin werden. Heute fühle ich mich sehr wohl damit, Muslima und Deutsche zu sein. Das ist vollkommen in Ordnung.

Das passt aber nicht in das Schwarz-Weiß-Schema von vielen Menschen: hier die guten Deutschen, da die bösen Muslime.

Das ist ja zum einen auch längst nicht mehr die Realität in unserer Gesellschaft, in der die meisten Muslime Deutsche sind. Außerdem ist das nicht so meins: gut und böse, schwarz und weiß. Ich komme aus dem Osten und bin als Kind in den Westen gekommen. Das war für mich eine andere Welt. Als ich dann einige Jahre später Muslima wurde, war das wieder eine große Veränderung in meinem Leben. Ich habe festgestellt: Ich bin ja selbst vielfältig, und ich fühle mich damit sehr wohl.