Vom Namenstanz zur Performance-Kunst

EURYTHMIE Sprache sichtbar machen wollte Rudolf Steiner mit der Eurythmie – und initiierte eine neue Ausdrucksform, die bis heute wirkt

Für den Eurythmisten geht der Weg aus der Natur in die Kultur der Bewegung

VON ANSGAR WARNER

„Der Mann, der seinen Namen tanzen konnte“, betitelte eine Hauptstadtzeitung vor Kurzem einen Artikel über Rudolf Steiner. Für die Leser dürfte das auf Anhieb verständlich gewesen sein – selbst wenn sie das Wort „Eurythmie“ gar nicht kennen. Denn dass Anthroposophie etwas mit dieser expressiven Tanzkunst zu tun hat, darf man getrost zum Allgemeinwissen zählen. Oder zumindest die Vermutung, dass Euryhtmie etwas mit Waldorfschulen zu tun hat.

An deutschen Waldorfschulen gehört Eurythmie tatsächlich seit jeher zu den Pflichtfächern. Tatsächlich geht es beim ominösen „Namenstanz“ auch um die Verbindung von Sprache und Tanz, besser gesagt die Umsetzung von Lauten in Bewegung und Gesten. Anders als bei Theater, Ballett oder Jazzgymnastik erscheint sich den meisten Menschen aber der künstlerische Wert solcher Übungen nicht zu erschließen. Was vielleicht daran liegen mag, dass auch das historische Vorbild heutzutage kaum noch en vogue ist.

Beeinflusst wurde die Entwicklung der Eurythmie nämlich vom expressionistisch inspirierten Ausdruckstanz, der sich um 1900 als Gegenbewegung zum klassischen Ballett entwickelte. Ziel war es dabei, die erstarrten, kanonisierten Formen durch natürlichere Bewegungen zu ersetzen.

Genau das passiert in der Eurythmie letztlich auch: der Weg gehe „aus der Natur in die Kultur der Bewegung“, so Alexander Seeger, Eurythmiedozent an der Alanus-Hochschule in Alfter. Die Frage sei also: „Das, was man selbstverständlich tut im Leben, wie kann man das bewusst erfasst, gefühlt und gestaltet bekommen?“ Steiner selbst verstand Eurythmie als „sichtbare Sprache“ oder auch „Sprache durch Bewegung“, die in einem „schönen Verhältnis stehen kann zur geistigen Welt“. Neben dem Stuttgarter Eurythmeum gehört der Fachbereich Eurythmie in Alfter zu den wichtigsten Ausbildungsstätten für die Steiner’sche Tanz- und Bewegungskunst, seit 2006 sogar ausgestattet mit einer international akkreditierten Professur.

Was Eurythmie in der pädagogischen Praxis leisten soll, liegt auf der Hand: Es geht neben der Förderung von Sprachgefühl und ihrem Ausdruck in der Bewegung natürlich auch um die Entwicklung von Musikalität und Rhythmusempfinden. Dazu kommen aber auch allgemeinere Dinge wie Konzentrationsfähigkeit und soziale Kompetenzen. Der ganzheitliche, auf Körper und Geist zielende Ansatz wird zudem auch therapeutisch genutzt – die sogenannte Heileurythmie ist ein eigener Ausbildungsgang. Als weiteren „offiziellen“ Bereich zählt der Berufsverband deutscher Eurythmisten die Sozial- oder Betriebseurythmie. Das ergibt gerade heutzutage immer mehr Sinn. Denn viele Unternehmen sind auf der Suche nach ganzheitlichen Ansätzen, um die Gesundheit ihrer Belegschaft zu verbessern.

Immer noch weiterentwickelt wird Eurythmie zudem auch als Bühnenkunst, und das sogar weltweit. Es gibt außerhalb Deutschlands Ensembles in Ländern wie England, Frankreich, Israel oder den USA. Zeitgemäß präsentiert sich längst auch die Eurythmiekleidung – wie etwa an den Entwürfen der Modedesignerin Katja Nestle zu sehen, die ihre Entwürfe sogar mitten im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg ausstellt.