„Die arbeiten doch nicht!“

NETZARBEITER Fünf Jahre alt wird das Betahaus, der Coworking Space am Moritzplatz: Ein Interview mit Geschäftsführer Christoph Fahle über das Büro als Gemeinschaftsersatz und die Tendenz zur Selbstausbeutung

■ Seit fünf Jahren bietet das Betahaus in Kreuzberg Freiberuflern einen Arbeitsplatz im Großraumbüro – inklusive sozialem Umfeld und Kaffee-Flatrate.

■ In einer ehemaligen Waschlappenfabrik in der Nähe des Moritzplatzes arbeiten auf 2.000 Quadratmetern bis zu 200 Mitglieder, die sich für eine monatliche Gebühr ab 59 Euro einen Arbeitsplatz mieten. Zum Angebot gehört auch die Open Design City, eine Werkstatt mit Equipment für Holz- und Elektroarbeiten. Inzwischen hat das Betahaus Ableger in Hamburg, Sofia und Barcelona.

■ Der Politologe Christoph Fahle, 34, ist der letzte der sechs Gründer, der Vollzeit im Betahaus arbeitet.

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

taz: Herr Fahle, wie ist die Idee für das Betahaus entstanden?

Christoph Fahle: Als ich Politologie studiert habe, habe ich bei der Studenteninitiative Politikfabrik mitgemacht. Damals haben wir in einer Etage am Hackeschen Markt direkt neben Starbucks gesessen, die uns die Wohnungsbaugesellschaft Mitte gesponsert hatte.

Ein Büro in Mitte für einen nichtkommerziellen Zweck gesponsert zu bekommen wäre heute kaum noch möglich.

Genau. Aber es war für uns unheimlich wertvoll, dass man einen Ort hatte, an dem man gemeinsam arbeiten konnte. Nach dem Studium habe ich mich gefragt, wo ich in Zukunft so einen Ort haben würde. Da konnte man plötzlich nur noch ins St. Oberholz gehen. Und man redete so im Freundeskreis, und plötzlich haben alle gesagt: Wir brauchen ja auch einen Raum. So entstand die Idee, einen Coworking Space zu machen, einen Ort, wo man sich einen Arbeitsplatz für eine monatliche Gebühr mieten kann, so ähnlich wie eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio. 2009 kannte in Berlin noch niemand das Wort Coworking.

Geteilte Büroräume für Freiberufler gab es aber gerade in Berlin doch schon viel früher.

Ja. Wir haben damals ein bisschen recherchiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Urbeispiel für Coworking die Hackerspaces sind, die in den 80er Jahren entstanden sind, etwa der Chaos Computer Club. Aber ein Gemeinschaftsbüro stiftet noch keine Identität. Der Unterschied zu Coworking ist, dass man eine Reihe von Grundwerten teilt. Diese Werte findet man auf der Website coworking.com: Collaboration, Openness, Community, Accessibility, Sustainability.

Das klingt sehr idealistisch.

Am Anfang stand ganz klar der Eigennutz. Ich wollte einen Arbeitsplatz haben, und der sollte cool sein.

Dafür hätte es aber auch ein Ladenlokal in Nord-Neukölln getan. Ihr habt aber gleich 200 Quadratmeter gemietet!

Wir hatten vorher halt Arbeitsräume wie die Stabi, wo man viel Platz hat. Wir wollten, dass der Raum offen zur Straße ist, dass jeder reinstolpern kann. Und wir wollten, dass man nicht jeden Tag die gleichen Gesichter sieht, aber trotzdem noch ein Gefühl der Nähe hat. So sind wir auf eine Größe von 150 Leuten gekommen. Als wir die hatten, dachten wir: „Na, da geht noch ein bisschen“, und haben noch eine Etage dazugenommen. Aber jetzt wollen wir nicht mehr weiterwachsen, um uns zu konzentrieren und inhaltlich besser zu werden.

Das war die Zeit der „digitalen Boheme“, wie sie von Holm Friebe und Sascha Lobo beschrieben wurde.

Ja, mein Vater kam hier rein, sah alle mit Laptops und Kaffee dasitzen und meinte: „Die arbeiten doch nicht!“

Jenseits aller idealistischen Selbstdarstellung mietet ihr aber zunächst mal einen Raum und vermietet ihn für eine höhere Summe weiter.

Ich würde niemandem empfehlen, einen Coworking Space aufzumachen, wenn er Geld verdienen will. Inzwischen sind wir so weit, dass wir damit eine kleine Marge erzielen. Aber am Anfang haben wir jedes Jahr ums Überleben kämpfen müssen. 2011 standen wir kurz vor der Pleite. Wir haben hier zwar Start-up-Gründer sitzen, die Millionäre sind. Aber wir können keine Millionärsteuer einführen. Und die, die gerade erst angefangen haben, können nicht so viel zahlen. Aber es ist trotzdem wichtig, dass die hier sind.

Wenn die Vermietung nicht viel einbringt, wie trägt sich dann das Betahaus?

Der Wert entsteht durch die Community, die hier sitzt. Deswegen kommen Investoren her, die vielleicht mal eine Pitch bei uns machen oder etwas sponsern. Außerdem bieten wir Workshops an zu Themen wie 3-D-Drucken oder CSS-Programmierung, eine Art moderne Volkshochschule.

Ich habe den Eindruck, dass etliche Firmen der sogenannten Share Economy, zu der auch das Betahaus gehört, Konzepte zu einem Geschäftsmodell machen, die einmal aus Idealismus entstanden sind – zum Beispiel beim CarSharing, bei den Firmen von Car2Go bis über das Prinzip der Mitfahrzentrale.

Ich bin nicht Robin Hood, und wenn hier jemand ein Firmen-Event ausrichtet, dann muss er richtig Miete bezahlen. Aber wenn jemand eine Veranstaltung zum Thema Bitcoin machen will, kann er das Café auch mal so haben. Manchmal denke ich auch, dass es gar nicht so falsch wäre, Coworking als Stiftung zu organisieren statt als Geschäft. Das würde für uns wenig ändern.

Könnte man sagen, dass ein Coworking Space wie das Betahaus das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft kommerzialisiert?

Zum Teil wird man durch die ökonomischen Umstände gezwungen, so zu leben

Das kann man so sehen. Aber das ist auch das Geschäftsmodell einer Bar.

Aber was für eine Community ist das? Ist es eine Gemeinschaft der Durchreisenden mit Rollkoffern, wie so häufig in Berlin?

Ein Drittel der Leute sind schon lange da. Es gibt etwa 15 Mitglieder, die hier seit dem ersten Tag sitzen. Viele von denen wohnen in der Nachbarschaft. Dann gibt es ein Drittel Durchreisende, die vielleicht ein halbes Jahr in Berlin sind, um ihr Start-up aufzumachen. Und dann gibt es Leute, die für einen Sommer in Berlin sind, und für die sind wir so eine Art inoffizielles Welcome-Center. Es ist einerseits global, andererseits ziemlich lokal.

Dadurch liefert das Betahaus auch ein Stück Infrastruktur für Ein-Mann-Unternehmen, für Menschen, die sich als Ich-AG durchs Leben schlagen müssen.

Ich bemerkte – auch an mir selbst –, dass das ein sehr herausfordernder, anspruchsvoller Lebensstil ist, der eine Tendenz zur Selbstausbeutung hat. Zum Teil wird man durch die ökonomischen Umstände gezwungen, so zu leben. Andererseits kann das auch Selbstbestimmtheit und Leidenschaft bedeuten. Das Betahaus ist ein Ort, wo ich diesen Lebensstil relativ risikoarm leben kann, weil man ein Netzwerk von Kollaborateuren findet.

In eurem Buch „Das Beta-Prinzip“ ist von einem „Government 2.0“ die Rede, das attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmer schaffen und sich ansonsten raushalten soll. Das klingt nach neoliberaler Ideologie.

Wir haben nie irgendwelche Förderung bekommen. Wir sind bei Gründerwettbewerben durchgefallen mit der Begründung, dass wir nicht kreativ genug seien. Selbst die Plakette von der Initiative „Land der Ideen“ wurde uns verweigert. Irgendwann haben wir nicht mehr daran geglaubt, dass uns geholfen wird, und die Sache selbst in die Hand genommen. Das heißt nicht, dass Politik überflüssig ist und dass der Senat nicht auch tolle Sachen machen kann. Aber bei Sachen, die schnell gehen, sind sie oft zu spät.

■ Die Betahaus-Geburtstagsparty findet am Samstag ab 11 Uhr in der Prinzessinnenstraße 19–20 statt. www.betahaus.de