berliner szenen Sich schwindlig filmen

Rumkugeln

Ich bin heute im Park in die Dreharbeiten eines Kunst-Leistungskurses hineingeraten. Wie eine Herde aufgeregter Grashüpfer waren die Schüler neben mir aufgetaucht und blickten den Hang hinunter. „Perfekte Location“, sagte einer anerkennend. „Wer hat den Rum?“, rief ein anderer. „Hier!“, rief ein Dritter und hielt eine Flasche hoch.

Daraufhin zählte ich sechs von ihnen, die Videokameras aus ihren Taschen holten und sich mit ihnen über den Hang verteilten. Irgendwo war auch ein Lehrer, aber er hielt sich dezent im Hintergrund. Auf „Action!“ wurde die Rumflasche hinuntergerollt und ihr Weg nach unten aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen. Die Szene wurde viermal wiederholt, dann rief ein Schüler, der offensichtlich als Regisseur fungierte: „Okay, das müsste reichen.“

Nachdem diese Aufnahmen im Kasten waren, ließen sich einige der Schüler selbst den Hang hinunterkugeln, was natürlich auch gefilmt wurde. Sie arbeiteten schnell und effizient wie richtige Profis. „Jetzt fehlt nur noch die Eingangssequenz“, sagte der Regisseur. Die Kameraleute drückten wieder auf ihre Record-Knöpfe, und dann wurde eine große Pralinenschachtel geöffnet, auf der in großer Schrift „Rumkugeln“ stand. Mit ernster Miene verspeiste ein einzelner Schüler die komplette Packung. Anscheinend der Hauptdarsteller. Nach der letzten Praline sagte er kauend: „Alles rum.“ Und dann verschwanden sie so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren.

Mir war beim Zusehen ganz schwindlig geworden. Ich versuchte mir die Endfassung des Films vorzustellen. Ob er wohl eine Geschichte erzählte? Oder war es eher ein dadaistisches Erlebnis, wenn man ihn sah? Ich werde es wohl nie erfahren.

DANIEL KLAUS