Stasiakten sollen geöffnet werden

Bulgarisches Parlament stimmt für Gesetzentwurf über den Umgang mit Akten der kommunistischen Geheimdienste. Rätselhafter Tod des Leiters des Geheimdienstarchivs

BERLIN taz ■ 17 Jahre nach der Wende und fünf Wochen vor dem Beitritt zur Europäischen Union steht der Umgang mit den Akten der früheren kommunistischen Geheimdienste in Bulgarien wieder einmal auf der Tagesordnung. Gestern wurde ein entsprechender Gesetzentwurf in zweiter Lesung im Parlament mit 143 Stimmen bei 5 Gegenstimmen und 8 Enthaltungen angenommen. Der Entwurf, der auf Vorlagen der Regierungskoalition aus Sozialisten (BSP), der Partei des früheren Zaren Simeon Sakskoburggotski (NDSW) und der Partei der türkischen Minderheit „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) zurückgeht, sieht die vollständige Öffnung aller Stasiakten aus der Zeit zwischen dem 9. September 1944 und dem 16. Juli 1991 vor. Zum Zweck der Aktenöffnung wird eine Kommission eingesetzt, deren neun Mitglieder vom Parlament für fünf Jahre gewählt werden. Zudem hat die Kommission die Aufgabe, Inhaber hoher Staatsämter sowie Kandidaten für solche Posten zu „durchleuchten“.

Nicht zuletzt Vertreter der BSP hatten sich noch bis vor kurzem einer vollständigen Öffnung der Akten wiedersetzt. Als Innenminister Rumen Petkow im vergangenen Frühling auf die Anfrage einer Journalistin hin einige brisante Auszüge aus den Akten ins Internet stellte, platzte dem sozialistischen Regierungschef Sergei Stanischew der Kragen. Viele Dokumente, so Stanischew, seien nach 1989 vernichtet worden und die Wahrheit nicht mehr zu rekonstruieren. Bulgarien solle sich weniger mit seiner Vergangenheit beschäftigen, sondern sich lieber darauf konzentrieren, die EU-Kriterien zu erfüllen.

Auch der frühere Chef der BSP und jetzige Staatspräsident Georgi Parwanow, der im vergangenen Monat für eine zweite Amtszeit gewählt wurde, sah bislang in Sachen Geheimdienstakten keinen Handlungsbedarf. Die Lösung dieses Problems sei schließlich keine Voraussetzung für Bulgariens Aufnahme in die EU, sagte Parwanow gegenüber der taz.

Für Aufregung und zusätzlichen Gesprächsstoff in diesem Zusammenhang sorgte unlängst der Tod von Boschidar Dojtschew. Der 61-Jährige, der in den 80er-Jahren für die Staatssicherheit gearbeitet und seit 1990 das Archiv des früheren kommunistischen Auslandsgeheimdienstes geleitet hatte, war vor zwei Wochen erschossen in seinem Büro aufgefunden worden. Vom vorzeitigen Ableben Dojtschews erfuhren die Bulgaren aber erst 24 Studen später aus ausländischen Medien. Offizielle Quellen, wie die Militärstaatsanwaltschaft, sprechen bislang von einem Selbstmord wegen familiärer Probleme. Auch in den Medien wurde über Selbstmord spekuliert, jedoch aus anderen Gründen: Dojtschew habe sich das Leben genommen, weil auf ihn Druck ausgeübt worden sei, einige der Akten zu vernichten. Auch von Mord war die Rede.

Die Politiker hielten sich bislang bedeckt. Innenminister Petkow verstieg sich sogar zu der Bemerkung, er glaube nicht, dass der Fall Dojtschew für weite Teile der bulgarischen Gesellschaft von großem Interesse sei. Obwohl die Umstände des Todesfalles unklar sind, legen derartige Äußerungen den Verdacht nahe, dass einige Regierungspolitiker ein begründetes Interesse daran haben, bestimmte Fakten nicht öffentlich werden zu lassen.

Die Annahme des Gesetzes über die Stasiakten sei nur der erste Schritt eines sehr schwierigen Prozesses, schreibt die bulgarische Wochenzeitung Kapital unter dem Titel „Einen Schritt von der Büchse der Pandora“. Die nächste Herausforderung werde die Wahl der Mitglieder der Kommisssion sein. Wahrscheinlich sei, so Kapital, dass Präsident Parwanow einen seiner Leute dort unterbringen werde.

BARBARA OERTEL