„Wir sind keine Armenier“

Nach der Ermordung des Journalisten Hrant Dink bricht sich der Ultranationalismus in den Fankurven der Stadien Bahn

ISTANBUL taz ■ Am Montag füllten die üblichen Verdächtigen aus Istanbul die Sportseiten der Zeitungen. Tabellenführer Fenerbahce hatte beim Schwarzmeerklub Caykur Rizespor mit 1:2 verloren, die alten Widersacher aus der Kapitale aber ihre Spiele gewonnen. „Die Meisterschaft ist wieder spannend“, schrieben die Kommentatoren.

Dass ein Verein aus der dritten Liga Aufmerksamkeit in den türkischen Medien bekommt, ist ungewöhnlich. Vor gut drei Wochen aber war das so. Adana Demirspor stellte beim Fußballverband (TFF) den Antrag, während seines Heimspiels eine Gedenkminute für den ermordeten armenisch-stämmigen türkischen Journalisten Hrant Dink einzulegen, der eine Woche zuvor von einem 17 Jahre alten Nationalisten auf offener Straße erschossen worden war. Dink war ein Streiter für die Aussöhnung zwischen Armeniern und Türken. Für Nationalisten war er ein Feindbild und von der Justiz wegen „Verunglimpfung des Türkentums“ angeklagt. Bei seiner Beerdigung gingen Zehntausende durch Istanbuls Straßen, Schilder haltend, auf denen stand: „Wir sind alle Armenier. Wir sind alle Hrant Dink.“ Demirspors Präsident Adem Ailgan wollte seine Mannschaft mit einem Banner mit eben jener Aufschrift auflaufen lassen. Die TFF untersagte dies. Begründung: „Diese Aktion hat nichts mit Sport zu tun.“

Am folgenden Wochenende brach sich der Nationalismus in den Fußballstadien Bann. In vielen Arenen waren Banner zu sehen mit der Aufschrift: „Wir sind alle Türken. Wir sind alle Mustafa Kemal.“ Am schlimmsten waren Aktionen in Trabzon. Aus der Stadt am Schwarzen Meer stammt Ogün Samast, der Mörder von Dink. In der Fankurve trugen viele eine weiße Wollmütze, die jener ähnlich war, die der Schütze auf einem Fahndungsfoto getragen hatte. Der Mob skandierte den Namen des Mörders und schrie: „Märtyrer sterben nie, die Einheit des Staates ist endgültig.“ In Malatya, Dinks Heimatstadt, breiteten die Anhänger von Elazigspor ein Plakat aus, auf dem zu lesen war: „Wir sind keine Armenier, wir sind nicht aus Malatya, wir sind aus Elazig. Wir lieben die Türkei.“ Erst auf Druck des für Sport zuständigen Ministers reagierte die TFF auf die Schmähungen in den Stadien. Als Strafe kann man die 17.000 Euro, die Trabzonspor nun bezahlen muss, allerdings kaum bezeichnen. Drei Anhänger bekamen von Elazigspor Stadionverbot. Die TFF bestätige ihren Ruf, ein Verband von Ultranationalisten zu sein. Solidaritätsbekundungen für einen getöteten Journalisten armenischer Herkunft werden untersagt, Jahrestage der Gründung der türkischen Polizei aber auf TFF-Geheiß in den Stadien gefeiert.

Noch nie war der türkische Fußball sportlich und moralisch so am Boden wie in diesen Tagen. Verbandspräsident Haluk Ulusoy wurde jüngst von der Staatsanwaltschaft in Ankara angeklagt. Dem Millionär wird Korruption in seiner ersten Amtszeit vorgeworfen. Ulusoy kam erst vergangenen Januar das zweite Mal ins Amt. Sein Vorgänger musste gehen, weil der stolze WM-Dritte von 2002 die Qualifikation für das Turnier in Deutschland nicht schaffte. Er musste aber nicht zuvorderst deshalb gehen, weil die Umstände beim Aus gegen die Schweiz schändlich waren. Die grassierende Gewalt und die Schmähungen in den Stadien sind seit Jahren ein Problem. Getan wird nichts. TOBIAS SCHÄCHTER