Rundgang durch den Kapitalismus

Seit 100 Jahren steht das Berliner „Kaufhaus des Westens“ für Luxus zum Anfassen. Zeit für eine kritische Begehung der Konsumlegende

von WALTRAUD SCHWAB

Die Wegweiser hinterm Eingang zum Kaufhaus des Westens zeigen nach Gucci, nach Bulgari, nach Omega, ja sogar zum Mont Blanc. Am aufdringlichsten allerdings weisen sie derzeit zum Dom Pérignon. Es ist ein riesiger, schwarzer Schrein im acht Meter hohen Foyer des Berliner Einkaufstempels, der einzig mit glücksversprechendem Luxus gefüllt ist: Trink Champagner und du wirst erlöst! Um das Versprechen deutlich zu machen, ist der dunkle Ort wie ein Triptychon gegliedert. Auf der einen Seite hängt das Bild einer lasziv auf dem Bett liegenden Lagerfeld-Blonden, die als Magdalena nicht verzehrt, sondern der Verzehrung preisgegeben ist. In ihrer Hand einsam ein Glas Schaumwein. Sie wird von einer Lagerfeld-Schwarzen flankiert, die als Domina ihre Jungs fest im Griff hat. Im Zentrum dieser Dreifaltigkeit aber steht in einer Glasvitrine das Allerheiligste: Dom Pérignon, die Flasche als Monstranz.

Im KaDeWe, dem größten „kontinentaleuropäischen“ Kaufhaus, wurde der neue Jahrgang des Champagners eingeweiht. Einen Monat lang wird im Foyer nun seine Heilige Messe gelesen, mit Wein und Brot. Nur dass das Brot hier Kaviar à la Royale, Culatello-Schinken oder Edmondo-de-Montecristo-Zigarre heißt. Hinterm Tresen steht ein Messdiener, der Promoter genannt werden will. Um sich nicht heimlich zu versündigen, durfte er das göttlich inspirierte Gebräu vorher probieren. „Komplex und kraftvoll ist es“, sagt er. Genau so steht es im Dom-Pérignon-Brevier. Gläubige sind einfallslos. Wie in anderen Kirchen ist auch hier das Fotografieren verboten.

Hundert Jahre alt wird das Kaufhaus, das im Foyer jeden Monat eine andere Luxusmarke neu inszeniert. Heute allerdings wird da, wo noch vorgestern der Champagner Internationalität beging, eine sechseinhalb Meter große, tonnenschwere Geburtstagstorte als Auftakt zu den Feierlichkeiten stehen. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, darf sie anschneiden und an die gemeinen Berliner und Berlinerinnen verteilen. Denn diese idiotische Speisung der Armen zelebriert selbst das KaDeWe lieber mit jenen Leuten, die’s volkstümlich lieben und mit der gleichen Haltung ins KaDeWe gehen wie auf den Rummel. Prada, das hinter dem Foyer seinen Shop-im-Shop hat, ist das Kettenkarussell, Chanel ist Hau-den-Lukas, Rubinstein ist die Geisterbahn.

„Entschuldigen Sie, was riecht hier so gut?“, fragt eine Frau, die sich nicht aus der Masse heraushebt. „J’adore“, antwortet die Dior-Verkäuferin. Klar: „Ich bete an.“

Woran erkennt man Kaschmir? Ist der Pelz echt? Egal. Der Sekt, der nicht Sekt, sondern Champagner heißt, wird auch von Leuten in Jeans und Turnschuhen getrunken. Sie sind gut drauf. Bei der Russin, die sich für das Parfüm „eau des merveilles“ – Wasser der Wunder – interessiert, lässt sich das nicht so einfach sagen.

Und ein Stockwerk höher, wo Herrenkollektionen ausgestellt sind, trifft das russisch Kühle sowieso auf japanisch Trunkenes, auf italienische Nüchternheit und schottisches Overstatement. Oder war es umgekehrt? Bei der Männermode ist das irrelevant. Hier muss niemand den Spießrutenlauf zwischen „Fashion & Trends“ mitmachen. Umso wichtiger, dass die Auslagen das Ästhetische an sich einfangen. Sehenswert ist hier immerhin die Hemdensammlung. Nach Marken geordnet, hat jede Farbe eine eigene Reihe und jedes Hemd sein eigenes Fach. Die Kante des Regalbretts schließt akkurat mit der Kante des Kragens ab. So präsentiert, kommt das Ensemble als Bibliothek der Männerhemdengegenwart daher. Die Seidenstickeredition neben der mehrteiligen Boss-Kollektion flankiert vom Hemdenbrockhaus namens „van Laack“. Die Krawatten sind die Buchzeichen.

Neben Gedächtniskirche, Holocaustmahnmal, Checkpoint Charly und Brandenburger Tor sind die 60.000 Quadratmeter KaDeWe mit ungefähr 400.000 Produkten eine Sehenswürdigkeit, die in keinem touristischen Reiseführer fehlt. Dort steht: „Ursprünglich wurde das Warenhaus von Emil Schaudt so gebaut, dass es sich harmonisch in die umliegende Wohnbebauung einfügte.“ Soll heißen, die Berliner Traufhöhe wurde nicht überschritten, die Fenster ließen offen, ob es sich um ein Wohnhaus handelte oder nicht. „Ursprünglich“ heißt es im Reiseführer indes auch, weil die Zerstörungen im Krieg und der spätere Wiederaufbau aus der harmonischen Wohnbebauung vom Anfang des letzten Jahrhunderts ein Sammelsurium an verschiedenen Baustilen hinterlassen haben. Über Neoklassizismus, Bauhaus, 60er-Jahre-Klarheit und Bausünden. Auch das KaDeWe war ausgebrannt, nachdem 1943 ein Flugzeug in das Kaufhaus stürzte. Nach dem Krieg wurde es, angelehnt an den alten Stil, wieder aufgebaut.

Touristische Außenwahrnehmung und architektonische Annäherung lassen sich allerdings kaum auf das Sightseeing im Innern übertragen. Von außen ist etwas vom KaDeWe zu begreifen.

Drinnen geht es um Greifen. Man streicht über die Oberfläche eines Kamelhaarpullovers von Joop, fasst ein Seidennegligé von Tam-Tam an, betastet die Oberfläche einer Dior-Gürtel-Schnalle, berührt die italienische Spitze an der Strenesse-Bluse und fährt ganz langsam mit der Hand über den Saum einer Armani-Jeans. Markenfetischismus – ja, unbedingt. Die Dinge an den Fingerspitzen zu spüren ist für viele, die ins KaDeWe gehen, der ganze Genuss.

Zugegeben, das Greifen geschah in der zweiten Etage. Sie ist der Damenkonfektion vorbehalten. Nirgendwo im Warenhaus der Luxusklasse offenbart sich die Brüchigkeit zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, so sehr wie hier. Denn die Frauen, die zwischen den Kleiderstangen flanieren, sind zu nah an der Wirklichkeit. Sie sind dick oder vollbusig, breitschultrig oder gebückt, sie sind flachbrüstig oder vollschlank, aschfahl im Gesicht oder mit Wasserbeinen, sie sind Standard. Die Klamotten, getestet am Ideal, heben diese waschechten Frauen vor allem in der Fantasie über den Alltag hinaus.

Ganz anders eine Etage darüber. Schon von der Rolltreppe offenbaren sich Büstenhalter und Korsagen, Unterhemden und hauchzarte Dinge aus nichts, die Form versprechen oder Berührung. Aber in der Dessous-Abteilung funktioniert der Betrug an sich selbst kaum. Zumindest nicht in der Umkleidekabine. „Wurst in Pelle“, tönt es lachend aus einer. „Geht’s ’ne Nummer größer?“ In einer anderen wird das gegenteilige Dilemma verhandelt: „Hören Sie, ich brauche Körbchen A und Umfang 80. Nur die Körbchen sollen so klein sein wie bei 70“, erklärt eine Kundin der Verkäuferin. „Gibt’s nicht“, sagt diese. „Ja Herrgott, soll ich dick werden, nur damit ich ins Muster passe?“

Fürs Träumen taugt in dieser Etage eher die Bettwäsche. Solche mit Fallschirmspringern drauf oder mit Monden und Sternen. Sie tragen einen weiter hinauf. Vorbei an Vitrinen, in denen Dinge liegen, die vielleicht Radiergummi heißen für 35 oder Spitzer für 60. Es kann auch eine Nagelfeile für 150 oder eine Kugelschreiber für 300 sein. Auf das „Komma null null“ wird verzichtet. Die Nummern sind keine Preise mehr, sondern Codes.

Vorbei auch an pastellfarbenen Regenbögen aus Papierschachteln. Vom Pink der Spielzeugkiste zum Beige der Zeitlosigkeit, dem Hellblau frischer Verliebtheit, dem Zartgrün einer hölzernen Königin, die dazwischen Platz gefunden hat. Vorbei an bunten Katzen, die Kisten sind. An kopflosen Engeln, die Kerzen halten. An Holzschnecken, die als Treibsandgut angeschwemmt wurden. An rauchenden Froschkönigen als Andenken an die Evolution. Vorbei an Fernsehern oder Computern in einer Abteilung ganz in Blau. Ein Aquarium ist die Multimediasektion. Über die Bildschirme schwimmen Schildkröten. Einer der Verkäufer dort, ein netter Mann, einer von 2.000 Angestellten im ganzen KaDeWe, heißt Herr Atilgan – Herr Draufgänger. Ein anderer Herr Igde – Herr Weidenbaum. Vorbei dann auch an Geschirr, an Besteck, an Vasen aus Kristall, so transparent wie die Luft. Erkennen kann man sie nur, weil die Scheinwerfer sich darin spiegeln. Vorbei am Vorbei.

So vom Sehen eingenommen erreicht man den Olymp: die Feinkostabteilung. Hier vermischt sich alles. Farben, Formen, Bedeutungen, Inhalte, Natur, Kultur. In dieser Etage allein verteilen sich 34.000 Produkte, alle essbar, nicht nur zum Sehen, zum Greifen. Konfrontiert mit so viel Nuancen ist Scheitern inbegriffen. Wie alle Farben sich zu schlammigem Braun mischen, vermischen sich so viele Geschmacksrichtungen in der Vorstellung zu geschmacklosem Brei. Irritiert entscheide ich mich für eins, nur um wieder etwas zu spüren. Für Senf mit Marsala vielleicht oder eine Backmischung für einen Kuchen, der nicht mehr gebacken werden muss. Natürlich gibt es dazu noch die Imbisshalle ganz oben unterm Dach und die blanke Realität farbiger Fische, die auf Eis liegen, samt lebend verspeister Austern.

„Ich will keine Tiere mehr essen“, weint ein Kind. „Warum denn nicht?“, fragt der Vater. „Wenn du es nicht tust, tun’s andere.“