Mehr Mitwisser beim Atomskandal

■ Auch Hessens Ex-CDU-Umweltminister kannte Grenzwertüberschreitungen. BBU stellt Strafantrag gegen RWE

Wiesbaden/Berlin (dpa/taz) – Daß bei Atommülltransporten immer wieder Strahlenwerte gemessen worden sind, die über den Grenzwerten lagen, ist keineswegs ein gutgehütetes Geheimnis von Kernkraftwerkbetreibern gewesen. Das hessische Umweltministerium ist, wie jetzt bekannt wurde, bereits 1990 noch unter CDU-Umweltminister Karlheinz Weimar vom TÜV Baden auf konkrete Verdachtsfälle von kontaminierten Castor-Behältern hingewiesen worden – sogar schriftlich. Das entsprechende Schreiben sei im Posttagebuch der Behörde verzeichnet, und der damalige Abteilungsleiter habe dazu in einem Vermerk den Sachbearbeiter um Rücksprache gebeten, sagte die hessische Umweltministerin Priska Hinz (Die Grünen) am Mittwoch im Umweltausschuß des Landtags. Das Original des Schreibens sei jedoch nicht mehr auffindbar.

Der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), dem Informationen vorliegen, daß zwischen 1985 und Oktober 1994 mindestens 31 Transporte überhöhte Kontaminationswerte aufgewiesen hätten, hat am Donnerstag Strafanzeige gegen die „Verantwortlichen für die RWE- Atomkraftwerke Biblis A und B“, beim Bundesamt für Strahlenschutz und in Hanau gestellt. Laut Umweltministerium, das sich nun auch mit der Rolle von Ex-Umweltminister Weimar auseinandersetzen muß, war die gesamte Leitung des Kernkraftwerks Biblis darüber informiert, daß seit 1981 immer wieder radioaktive Stellen an Transportbehältern für abgebrannte Brennstäbe gefunden wurden. Kraftwerksdirektor Klaus Distler sei verdächtig, seine Sorgfaltspflicht verletzt zu haben, da er seinen Vorgesetzten nicht informiert und weitere Transporte veranlaßt oder geduldet hatte. Beim zuständigen Vorstandsmitglied von RWE, Werner Hlubek, sei zu untersuchen, ob er seine Kontrollaufgabe ausreichend wahrgenommen habe.

Unterdessen gehen die Transporte für schwach- und mittelaktiven Atommüll munter weiter. Der am Mittwoch beim Umladen auf einen Lkw beschädigte Bahntransportbehälter ist entgegen erster Ankündigungen und der Proteste von Umweltverbänden, Grünen und dem sachsen-anhaltinischen Umweltministerium am Donnerstag doch von Magdeburg aus ins Endlager Morsleben gebracht worden. Laut einem Bericht der Welt prüfen die Länderinnenminister derzeit alternative Wege statt eines generellen Transportstopps. Während der Luftweg bereits verworfen worden sei, so die Zeitung, seien Transporte auf dem Wasser durchaus noch im Rennen.