„Widerspruch finde ich spannend“

Helgard Gammert

„Ich mag die Frau in Tarkowskis ‚Spiegel‘, die gleichzeitig ihre Urgroßmutter, Großmutter und ihre Kinder ist. Sie muss lernen, in verschiedenen Zeiten klarzukommen, aber behält immer ihre Persönlichkeit“

Kino ist eine Branche für das Massenpublikum. Der politische Film findet allenfalls Platz in kleinen Nischen. Eine davon ist das Bali in Zehlendorf. Fernab der Innenstadt kämpft die Betreiberin Helgard Gammert schon seit 1979 um die Geschmacksbildung des Westberliner Wohlstandspublikums. Zwar gab ihr das Jahr 1968 eine politische Heimat. Doch wenn es sein muss, nimmt die 62-Jährige heute auch Teenagerfilme und Zuckerstangen ins Angebot, damit sie weiter lebendiges Kino machen kann.

Interview Nina Apin
und Rolf Lautenschläger

taz: Frau Gammert, freuen Sie sich schon auf die Berlinale?

Helgard Gammert: Ja, denn diesmal werde ich seit vielen Jahren wieder selbst hingehen können. In den letzten Jahren fand ich leider wenig Zeit dafür. Aber immerhin meine Vorführer gingen hin.

Sie waren ans Kino gefesselt, während alle zur Berlinale gingen? Tut das einer Filmenthusiastin wie Ihnen nicht weh?

Klar tut das weh. Aber der Betrieb ging immer vor. Die Energie, die ich hatte, als ich 1979 das Kino kaufte, hat sich gewandelt. Die letzten Jahre waren sehr hart. Aber ich habe es geschafft, dass ich das Kino nicht verkaufen musste, ich bin nicht pleite, ich mache nach wie vor lebendiges Kino.

Finden Sie es schade, dass die Berlinale nicht mehr so politisch ist wie vor einigen Jahren?

Es gibt nach wie vor filmische Bonbons und wichtige politische Entdeckungen, die durch die entsprechenden Verleiher mir dann auch angeboten werden. Wie zum Beispiel Al Gore mit seiner „Unbequemen Wahrheit“, der viel Publikum ins Bali zog.

Manfred Salzgeber, von dem Sie das Bali kauften, war eine Institution in der Berliner Kinoszene: links, schwul, voller Ideen. Er machte das Bali zu einem der politischsten Kinos der Republik. Als er es 1979 aufgab, soll er zu Ihnen gesagt haben: Nur du kannst das machen.

Wir lernten uns in Mannheim kennen, wo ich Mitarbeiterin des Kommunalen Kinos war, das unter anderem politisch engagierte Filme zeigte. Manfred Salzgeber war damals mit seinen Filmen über Günter Wallraff und Viva Portugal unterwegs in der Bundesrepublik. Eines Tages kam er plötzlich mit dem Angebot: Du bist genau die Richtige, willst du mein Kino haben? Ich bin fast umgefallen, als ich das hörte.

Aber es hat Sie gereizt?

Natürlich. Das Bali galt als das politische Kino schlechthin. Dort wurden die Filme gespielt, die unsere Haltung, unser Leben, unsere Empfindungen widerspiegelten. Das waren Filme, die Fragen stellten und nach neuen Antworten suchten.

Die Entscheidung, das Kino zu kaufen, fiel dann über Nacht?

Es waren mehrere Nächte. Ein halbes Jahr habe ich gebraucht. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, ich sah mich damals nicht in der Rolle einer Kinobesitzerin. Aber die Chance, dieses Kino mit seinem Ruf zu führen, ließ mich schwach werden. Auch weil es nicht immer leicht war, kommunales Kino in Mannheim zu machen.

Also auch eine Flucht aus Mannheim?

Wir waren abhängig von öffentlichen Geldern, mussten unser Programm vertreten, uns Fragen gefallen lassen. Mit unseren politischen Programmen gerieten wir auch schon mal ins Visier der Öffentlichkeit.

In Berlin würde es leichter gehen – hat sich diese Hoffnung erfüllt?

Am Bali reizte mich vor allem die Vorstellung: Jetzt bist du endlich frei. Allerdings ging ich erstmals ein wirtschaftliches Risiko ein. Und ich betrat ein Kinoparkett mit starker Konkurrenz. Als ich 1979 anfing, gab es bereits politisch ambitionierte Kinos wie das Arsenal.

Wie vertrug sich denn Ihr politisches Kino mit dem Standort Zehlendorf? Politisch geknallt hat es doch nicht hier, sondern in Kreuzberg oder Charlottenburg?

Das stimmt. Aber der Ansatz von Salzgeber war die Provokation des Zehlendorfer Publikums, und natürlich war das Kino in den 70er-Jahren, trotz des Standortes, voll mit Gleichgesinnten. Als ich nach Berlin kam, war nicht nur das Publikum nicht mehr da. Das gesamte politische Klima hatte sich gewandelt, nicht nur in Zehlendorf, und dementsprechend die Nachfrage. Mein erstes Programm war die Maxim-Gorki-Trilogie und Rohmers „Claires Knie“, „Planet Venus“ und natürlich Kinderfilme. Also vor allem cineastisches Programm. Das Programm wurde nicht angenommen, und die Zehlendorfer haben das Kino gemieden.

Sie waren also in Zehlendorf, hatten die Freiheit. Aber es kam keiner.

Ja. Als ich Filme zeigte, Diskussionen dazu veranstaltete und auf dem Podium mehr Leute saßen als im Publikum, habe ich gesagt: Da muss sich was ändern.

Ein anderes Programm?

Es entstand unter anderem eine Programmschiene für Jugendliche. Diese Filme waren nicht primär mein Interesse, aber ich wollte, dass das Kino lebt. Ich wollte das Interesse aller Altersgruppen wecken. Das Publikum sollte sich im Bali wohl fühlen. Es ist eine Facette Leben.

Heute spielen Sie Mainstream und bürgerliche Filme …

Das finde ich nicht. Dazu muss man mein Programm in seiner Vielfältigkeit kennen. Um heute mit einem kleinen Kino zu überleben, wird man es nicht schaffen, nur Filme zu spielen, mit denen man sich selber identifizieren kann. Den neuen Woody-Allen-Film „Scoop“ zum Beispiel finde ich langweilig. Aber in meinem Programm kann ich das vertreten. Außerdem: Für mich ist es wichtiger, die Veränderungen seit den 70er-Jahren wahrzunehmen. Ich versuche mich davon frei zu machen, mich nicht von Ideologien leiten zu lassen. Die Zeit ist vorbei.

Andere Berliner Programmkinos bieten heute ein wesentlich ambitionierteres gesellschaftskritisches Programm als Sie. Sind Sie neidisch?

Neidisch bin ich vielleicht dahingehend, dass ich an diesen Standort gebunden bin. Er bietet wenig Alternativen. Experimentelles oder Dogma läuft hier nicht.

Warum hängen Sie denn so an dem Bali?

Weil mich Jahre meines Lebens mit diesem Kino verbinden, das Kino eine Plattform für meine Gesinnung ist und ich mit meinem Publikum gewachsen bin. Bei Reihen wie der „Afrika-Filmwoche“, die ich in Zusammenarbeit mit der Uni veranstaltet habe, hatte ich das Gefühl, dem Publikum durchaus kritische und durchdachte Projekte anzubieten.

Haben Sie das Gefühl, in Zehlendorf hängen geblieben zu sein?

Nein, es gibt noch Bewegungsmöglichkeiten. Aber ich bin an einem anderen Punkt als jemand, der ein Kino in Kreuzberg macht. Ich habe immer davon geträumt, mit einem Team Kino zu machen. Das habe ich hier nicht verwirklichen können.

Klingt desillusioniert.

Nein, das hat nichts mit dem Standort zu tun. Ich habe mir nie gewünscht, ein Kino am Potsdamer Platz zu haben. Aber ein Kino mehr im Zentrum hätte ich mir vorstellen können.

Wer sind Ihre größten Widersacher? Das eigene Publikum, die Wohlständler?

Widersacher habe ich nicht. Ich mag den offenen Dialog mit dem Publikum. Ein Leben mit Widerspruch finde ich spannend.

Sie sind jetzt 62, wie lange wollen Sie das Bali noch betreiben?

Durchaus noch ein paar Jahre.

Denken Sie an eine Übergabe?

Ich wäre froh, wenn das Kino weiter bestehen würde. Viele haben ja gesagt, das Bali ginge mit Salzgeber zu Ende. Jetzt ist 2007, eine andere Zeit. Ich beobachte alle Veränderungen mit wachen Augen. Und ich würde gerne wach bleiben.

Jetzt sind Sie das Kino. Was wird Sie im Ruhestand tragen?

Mein Leben ist reich, sodass ich überhaupt keine Angst habe. Ich male, könnte Bücher schreiben, aber vor allem lesen.

Welche weibliche Hauptrolle aus der Filmgeschichte ist für Sie eine Heroin oder ein Vorbild?

Von Heroinen halte ich nichts. Ich mag die Frau in Tarkowskis „Spiegel“, die gleichzeitig ihre Urgroßmutter, Großmutter und ihre Kinder ist. Sie muss lernen, in verschiedenen Zeiten klarzukommen, aber behält immer ihre Persönlichkeit. Obwohl sie auch Sehnsüchte hat, die nicht immer erfüllt werden können.