Den Anschluß an Kroatien im Visier

Die bosnischen Kroaten hoffen nach der Wahl auf einen Zusammenschluß mit Zagreb. In ihrem Herceg-Bosna funktioniert bereits vieles, was in anderen Regionen Bosniens noch im Argen liegt  ■ Aus Vitez Erich Rathfelder

Ivica hat erst kürzlich einen Lebensmittelladen aufgemacht. Sorgfältig sind Obst und Gemüse auf den Gestellen vor dem Schaufenster ausgelegt. „Kein fauler Apfel ist dabei“, sagt der 35jährige verschmitzt, „wir Kroaten von Vitez sind korrekte Leute“. Ein kleiner Seitenhieb gegen Serben und Muslime, denen hier stets unterstellt wird, auch verdorbene Waren an den Mann oder die Frau bringen zu wollen.

Die Kroaten Bosniens sind stolz auf ihren wirtschaftlichen Erfolg. In den von ihnen kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas wird gehämmert und gesägt, werden die Ärmel hochgekrempelt, um das vom Krieg zerstörte Land aus eigener Kraft wieder aufzubauen. Herceg-Bosna, der kroatische Staat auf bosnischem Boden, der mit dem Wahltag morgen endlich offiziell von der Landkarte verschwinden und in die muslimisch-kroatische Föderation aufgehen soll, hat sich in den letzten beiden Jahren zu einem echten staatlichen Gebilde auf bosnischem Boden gemausert. Hier funktioniert das Telefonsystem wie in anderen europäischen Ländern auch, die Schulen arbeiten normal, die Krankenhäuser sind ausreichend mit Personal und Medikamenten versorgt. Die Infrastruktur ist, so gut es geht, instand gesetzt worden. Und das, obwohl es sich bei Herceg-Bosna um ein zusammengestückeltes Staatswesen handelt. Neben der nordwestlich Mostars gelegenen Westherzegowina umfaßt der Mini-Staat die zentralbosnischen Kroatenenklaven Kiseljak, Busovaca-Vitez, Jajce, Zepće und die ostbosnischen Gebiete in Orašje und Odžak. Von den Kroaten kontrollierte Straßenverbindungen zwischen diesen Gebieten gibt es nicht. Daß dieser Erfolg ohne die Unterstützung aus der Republik Kroatien nicht möglich gewesen wäre, wird auch von Ivica unumwunden bestätigt.

Der Kredit einer Zagreber Bank ermöglichte den Aufbau seines Ladens. Er schreibt diese Möglichkeiten den Kontakten der politischen Organisation der Kroaten, der Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), zu. Denn diese Partei ist auch Regierungspartei in Kroatien, Kroatiens Präsident Franjo Tudjman ihr Vorsitzender. Die grenzüberschreitende Einheit der HDZ wird als Vorstufe zur Vereinigung mit Kroatien angesehen. „Wir sind eigentlich schon angeschlossen“, sagt er, „die kroatische Währung Kuna gilt auch hier, die Schulbücher sind aus Kroatien, unsere Armee, die HVO, arbeitet eng mit der kroatischen Armee zusammen.“

Um so weniger versteht Ivica, daß der Staat Herceg-Bosna jetzt aufgelöst werden und in der muslimisch-kroatischen Föderation aufgehen soll. Vielleicht gerade deshalb strengt sich die kroatische Führung Bosniens besonders an, um so viel von ihrer Machtstruktur zu retten, wie nur irgendwie möglich ist. Die Wahl soll der ganzen Welt zeigen, daß die Kroaten hinter der HDZ stehen. Und auch wenn der Anschluß an Kroatien sich nicht sofort verwirklichen läßt, weil dies ein klarer Verstoß gegen das Dayton-Abkommen wäre, so wird die Hoffnung darauf doch hochgehalten. Kein Wunder, daß andere kroatische Parteien wie die probosnische Kroatische Bauernpartei beklagen, bei ihrer Wahlkampagne behindert worden zu sein. Der muslimischen Nationalpartei SDA wurde ohnehin nur ein einziges Mal erlaubt, in Herceg- Bosna, das offiziell Teil der muslimisch- kroatischen Föderation ist, eine gut kontrollierte und überwachte Wahlveranstaltung abzuhalten.

Von den HDZ-Wahlplakaten prangt die Führungstroika der Partei: Kresimir Žubak, Präsident von Herceg-Bosna und ehemals der Föderation, Jadranko Prlić, der ehemalige Premierminister Herceg-Bosnas und jetzige Außenminister der Föderation, sowie Bozo Rajić, HDZ-Vorsitzender und Chefideologe der Partei, der vieler Kriegsverbrechen während des kroatisch-muslimischen Krieges 1993/94 verdächtigt wird.

Doch diese Troika ist offenbar noch nicht überzeugend genug. Für die heutige Wahlveranstaltung in Vitez ist Gojko Šušak, der Verteidigungsminister Kroatiens, angekündigt. Šušak kommt aus der Westherzegowina und gilt als der Mann, der seit 1991 konsequent die Teilung Bosniens, den Krieg gegen die Muslime und die Vereinigung der Kroatengebiete mit Zagreb betrieben hat. Um den Gast zu schützen, werden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.

Maria macht sich für ihren Einsatz bereit. Die 32jährige alleinstehende Mutter eines zweijährigen Sohnes – ihr Mann ist 1994 im Krieg noch vor der Geburt des Sohnes gefallen – ist Militärpolizistin. Sorgfältig schnallt sie ihre Dienstpistole um. Sie gilt als gute Schützin und hat erst im letzten Jahr einen Preis der Armee gewonnen. Sie ist durchtrainiert und ihr Wort gilt in dem Viertel etwas, wo sie wohnt.

„Bei uns gibt es nur eine Partei“, sagt sie, „die HDZ“. Über 90 Prozent der Kroaten Bosniens stünden hinter ihr. „Ich war nicht für diesen Krieg, nicht für den gegen die Serben, nicht für den gegen die Muslime. Ich kenne auch unsere Verantwortlichen, auch Kroaten haben Schuld am Krieg, nicht nur die anderen.“ Aber jetzt müßten die Kroaten zusammenhalten. „Die Serben haben einen eigenen Staat, die Muslime kontrollieren den größten Teil Zentralbosniens, nur wir sollen schutzlos sein und uns den anderen beugen.“ Die Wahlen seien für die Kroaten eine Volksabstimmung. Jede Stimme für die HDZ sei eine Stimme für den Schutz der Kroaten in Zentralbosnien, meint sie.

Der Weg zum Versammlungsort führt vorbei an den Ruinen der Häuser, in denen einstmals muslimische Familien wohnten. In der Enklave Vitez-Busovaca gibt es keine Muslime mehr. Fast keine. Im Zentrum der Stadt, Stari-Vitez, hatten über ein Jahr lang rund 1.000 Muslime den Angriffen der Kroaten getrotzt. Die Straße führt durch diese Enklave zum Versammlungsort. Maria schaut interessiert aus dem Autofenster. Nur durchgefahren sei sie hier, niemals habe sie hier Halt gemacht oder auch nur daran gedacht.

„Wir leben in Vitez nebeneinander, immerhin.“ Und sie verweist darauf, daß Zehntausende von Kroaten die muslimisch kontrollierte Region um Zenica und Vares verlassen mußten. „Langsam“, sagt sie, „wird alles besser werden. Immerhin ist die Straße frei. Immerhin wird nicht mehr geschossen, auch heute, hoffe ich, nicht.“ Sie lächelt. „Šušak und die anderen Politiker werden nämlich auf dem Fußballplatz, der direkt neben Stari Vitez liegt, auftreten.“ Eine Provokation sei das aber nicht. Für nächste Woche sei sie zu einer Schießübung mit der bosnischen Polizei von Stari-Vitez eingeladen. Dann darf geschossen werden.