berliner szenen Dackel im Tor

Der Volltreffer

Er ist vielleicht fünf Jahre alt. Und sie ist Anfang dreißig. Sie sind ganz offensichtlich Mutter und Sohn. Die beiden sind auf Einkaufstour für den Jungen. Ein Paar Winterstiefel befindet sich schon in einer Tüte, die sie für ihn trägt. Ihn scheint das aber nicht wirklich zu interessieren. Man sieht ihm an, dass er lieber woanders wäre, denn er verwandelt alles, was vor ihm auf dem Boden liegt und gegen das man treten kann, in einen Fußball: Eine Pappschachtel, in der sich mal ein BigMäc befunden hat, zusammengeknüllte Brötchentüten, leere Tetrapaks und andere Dinge. Es ist erstaunlich, wie viele potenzielle Fußbälle auf dem Boden liegen. Selbst die kleinsten Kiesel benutzt er, um seine Schusstechnik zu verbessern.

Und dann entdeckt er ein Tor. Ein Fahrradständer, der wie ein umgedrehtes, langgezogenes U geformt ist und an dem kein Fahrrad lehnt. Dafür ist ein Hund daran angeleint. Ein kleiner Dackel, der aussieht wie der Torwart von Energie Cottbus, nur dass er statt Stirnband ein Halsband trägt. Man kann förmlich sehen, wie der Puls des Jungen schneller schlägt. Plötzlich ist die Fußgängerzone ein voll besetztes Stadion, und alles schaut auf ihn, wie er allein auf das Tor zudribbelt, kurz vor dem Strafraum einen Haken schlägt und schließlich die leere Tetrapakpackung mit einem strammen Pikeschuss in das rechte obere Toreck hämmert. Der Torwartdackel hat keine Abwehrchance. Von den Rängen brandet Jubel auf, und auch ich zolle ihm mit nach oben gestrecktem Daumen Anerkennung für diesen klasse Treffer. Der Junge ballt zum Zeichen der Freude kurz seine Faust, und jetzt scheint er auch dafür gerüstet, mit seiner Mutter das nächstes Geschäft zu betreten, um weitere Klamotten anzuprobieren.

DANIEL KLAUS