Ein neues Kalifat

ISIS Dschihadisten-Chef al-Baghdadi lässt sich zum „Kalifen Ibrahim“ küren – und fordert damit al-Qaida und die konservativen Golfstaaten heraus

■ Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Unterstützung seines Landes für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im Irak und für den Kampf Jordaniens gegen „islamischen Extremismus“ zugesagt. „Wir müssen die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft fördern, Jordanien zu stärken, und wir unterstützen das Streben der Kurden nach Unabhängigkeit“, sagte Netanjahu am Sonntagabend. (dpa)

VON BEATE SEEL

BERLIN taz | Pünktlich zum Beginn des Fastenmonats Ramadan hat Abu Bakr al-Baghdadi, bislang Chef der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis), ein „Kalifat“ ausgerufen. Dies gab ein Sprecher der Gruppierung, Abu Muhammad al-Adnani, im Internet per Audiobotschaft bekannt, die am Sonntag in mehreren Sprachen ausgestrahlt wurde.

„Die Legalität aller Emirate, Gruppen, Staaten und Organisationen wird null und nichtig durch die Expansion der Autorität des Kalifats und die Ankunft seiner Truppen in ihren Gebieten“, heißt es in der Erklärung. Ein Isis-Rat habe al-Baghdadi zum Chef des Kalifats gewählt: Er trage künftig den Namen „Kalif Ibrahim“ und sei Imam und Kalif der Muslime in aller Welt, fügte der Sprecher hinzu.

Alle Muslime müssten dem neuen Kalifen Gefolgschaft schwören. Zudem habe sich die Organisation einen neuen Namen gegeben: Der laute sofort „Islamischer Staat“ (IS). Damit ist offenkundig, dass die Organisation letztlich den Anspruch verfolgt, Führer der Gemeinschaft aller Muslime – der Umma – zu sein, wie sie zur Zeit des Propheten Mohammed und der ersten Kalifen bestand.

Das Wort „Kalif“ leitet sich von dem arabischen Begriff khalifa ab, was man mit „Nachfolger“ oder „Stellvertreter“ übersetzen kann. Als Mohammed im Jahr 632 ohne direkten männlichen Erben und ohne Nachfolgeregelung gestorben war, wurde mit Abu Bakr ein neuer religiös-politischer Anführer bestimmt. Die ersten vier Kalifen werden „die Rechtsgeleiteten“ genannt; für viele Salafisten und Dschihadisten gilt diese Zeit als vorbildlich.

Doch einig waren auch die damaligen Muslime keineswegs: Die Schiiten glaubten, dass Ali, Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, Anspruch auf das Amt des Kalifen hatte – die Sunniten hingegen waren nicht dieser Ansicht. In dieser Zeit umfasste das Reich die Arabische Halbinsel, Syrien, Mesopotamien und Ägypten. Mit dem Ende des Osmanischen Reichs im Jahr 1924 ging das letzte Kalifat unter.

Und nun, hundert Jahre später, hebt Kalif Ibrahim von IS ein neues Kalifat aus der Taufe – oder zumindest den Anspruch darauf.

Unabhängig davon, ob dies konkrete Auswirkungen haben wird, kommt die Ankündigung nicht überraschend: Mit Beginn der Isis-Offensive im Irak wurde deutlich, dass die Dschihadisten ein grenzüberschreitendes, zusammenhängendes Gebiet anstrebten, das Teile des Irak und Syriens umfasst.

Nun wurde per Internet der Herrschaftsanspruch quasi global formuliert. Damit fordert er die Führung des Terrornetzwerkes al-Qaida heraus, zu dem Isis früher einmal gehörte. Inzwischen hat Isis sich aber für unabhängig erklärt. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien läuft er al-Qaida den Rang als aktivste Terrorgruppe ab. Dennoch verfolgen beide die gleiche Ideologie.

Auch konservative Golfstaaten wie Saudi-Arabien sehen die Dschihadisten inzwischen als Bedrohung an, denn IS verfolgt das Ziel, alle Grenzen zwischen dem Mittelmeer und der Golfregion auszuradieren.

Die Audiobotschaft erfolgte zwei Tage vor der konstituierenden Sitzung des irakischen Parlaments am 1. Juli. Seit Beginn der Juni-Offensive der Isis, der sich ehemalige Anhänger Saddam Husseins sowie Kämpfer sunnitisch-arabischer Stämme anschlossen, werden Forderungen nach dem Rücktritt des irakischen Regierungschefs Nuri al-Maliki lauter. Dessen Politik der Begünstigung von Schiiten gegenüber Sunniten und Kurden hat mit zu der jetzigen Krise beigetragen.

Meinung + Diskussion SEITE 12