Eucharistische Gemeinschaft

BISS Im Dresdener Militärhistorischen Museum kann man Soldatenkekse essen

Auch die Soldaten wurden physisch oder psychisch aufgezehrt

Nicht nur in Fußballer kann man beißen, wenn die frühkindlichen Reflexe zuschnappen, auch wenn das geahndet wird. In soldatenförmige Kekse zu beißen ist sogar erwünscht, und zwar vom Militärhistorischen Museum Dresden. Dessen wissenschaftlicher Direktor Gorch Pieken ist immer für Überraschungen gut. Das Kekskunstwerk „Stela“ freilich, das ab 12. Juli zum Verzehr freigegeben ist, hat er sich nicht selbst ausgedacht. Die neuseeländische Botschaft rief an, ein Künstler namens Kingsley Baird suche einen Ort für seine essbare Grabmal-Installation, für die er in seiner Heimat nicht allzu viel Akzeptanz erwartete.

Aha, werden schlichte Gemüter meinen, nach Tucholsky sind Soldaten Mörder, und jeder zumindest symbolisch weggebissene Soldat ist eine gute Tat für den ewigen Frieden. Gegen eine derart primitive Interpretation verwahren sich Künstler und Aussteller. Ihre Motive gehen tiefer und haben mit dem hundertjährigen Weltkriegsgedenken zu tun. Baird ist kein spätpubertärer Provokant, sondern als Universitätsdozent in Wellington mit Erinnerungskultur im öffentlichen Raum befasst.

Inspiriert wurde er durch Besuche auf europäischen Soldatenfriedhöfen, vor allem in Langemark. Sein Kekskunstwerk besteht im Kern aus einem stählernen Massengrab im Miniformat, einem griechischen Kenotaph in den Ausmaßen sechs übereinandergelegter Leiber. Außen werden 18.000 Soldatenkekse aufgeschichtet. So viele Soldaten ließen im Australisch-Neuseeländischen Armeekorps Anzac während des Krieges ihr Leben: Der Schlacht von Gallipoli in der Türkei wird bis heute gedacht.

Besucher dürfen nun die nach Originalrezept gebackenen Plätzchen verzehren und so das Grabmal enthüllen. Andacht ist dabei erbeten, denn der Akt des Verspeisens rührt ans Mythische und Sakrale. Die Zufallsauswahl erinnert an das Schicksal von Tod oder Überleben derer, die hier im Wortsinn als Kanonenfutter erscheinen. Auch sie wurden physisch oder psychisch aufgezehrt, die Gesellschaft verschlang ihre Söhne. Mit der Inkorporation werden wir mit ihnen eins, erlangen eine Art Abendmahlsgemeinschaft. Über Zeit und Nationen hinweg entsteht eine Communio. Baird räumt ein, dass sich manche auch an Kannibalismus erinnert fühlen könnten.

Heftig ist auch im liberalen Militärhistorischen Museum darüber gestritten worden, ob Besucher diese Symbolik verstehen werden. Schlimmstenfalls bleibt nur der kulinarische Reiz, die etwa 15 Zentimeter langen Kekse sind sehr nahrhaft. Das Personal der Sächsischen Bäckerfachschule hatte mit dem Auftrag keine Probleme. Teigausrollmaschine wegen der stapelfähigen Dicke, sechs verschiedene Ausstechformen – es ging launig zu wie beim Plätzchenbacken im Advent. MICHAEL BARTSCH