Istanbuler Anwalt fastet sich langsam zu Tode

Behic Asci protestiert seit 270 Tagen gegen die Haftbedingungen in türkischen Hochsicherheitsgefängnissen

ISTANBUL taz ■ Der Mann ist erschöpft. Er kann sich nur schwer konzentrieren, sein Körper ist völlig ausgezehrt. Seit zwei Monaten kann er sein Bett kaum noch verlassen. Behic Asci hat seit 270 Tagen nur Wasser zu sich genommen. Als er sein „Todesfasten“ begann, wog er 86 Kilo. Heute sind es knapp 50 Kilo.

Behic Asci ist nicht im Gefängnis, sondern in seiner Wohnung im Istanbuler Bezirk Sisli. Er ist Anwalt und hat in den letzten Jahren vor allem Angeklagte aus dem Spektrum der linksterroristischen, Revolutionären Volksbefreiungsfront DHKP/C vertreten, die, wenn sie verurteilt werden, in den sogenannten F-Typ-Gefängnissen landen. Das sind Hochsicherheitsgefängnisse, in denen seit 2001 alle Gefangenen, die wegen Verstoßes gegen Antiterrorgesetze verurteilt wurden, untergebracht werden.

Vor allem die linke Splittergruppe DHKP/C, die sich durch Anschläge auf Politiker und Wirtschaftsbosse einen Namen gemacht hat, bekämpft diese F-Typ-Gefängnisse seit sechs Jahren, indem sie ihre Parteimitglieder ins „Todesfasten“ schickt. Seitdem haben sich 122 Menschen zu Tode gehungert. Obwohl nach den ersten Monaten der Auseinandersetzung klar war, dass die Regierung auf keinen Fall zu dem alten Knastsystem zurückkehren würde, schickte die Führung der Organisation, die im belgischen Exil sitzt, immer neue Mitglieder in den Tod. Statt auf eine konkrete Veränderung der Haftbedingungen in den F-Typ-Gefängnissen zu setzen, geht es für die DHKP/C weiterhin um alles oder nichts.

Ascis Todesfasten hat zwei Ziele: Er will erreichen, dass in der Öffentlichkeit nicht länger ignoriert wird, dass sich seit sechs Jahren Menschen zu Tode hungern, und er will, dass die Haftbedingungen verbessert werden, das Justizministerium mehr soziale Kontakte für die Gefangenen zulässt.

Der Konflikt begann im Oktober 2000, als die damalige Regierung ankündigte, man werde einen Teil der Gefängnisse auflösen und die wegen politischer Delikte verurteilten Gefangenen in Hochsicherheitsgefängnisse verlegen. Bis dahin war es in der Türkei üblich, dass wegen politischer Delikte Verurteilte in Großraumzellen mit 40 oder mehr Personen saßen. Die Gefangenen einer Organisation waren gemeinsam untergebracht, die Parteihierarchie wurde nahtlos fortgesetzt. Dieses System wurde durch die neuen Gefängnisse zerschlagen, in dem maximal drei Personen in einer Zelle untergebracht sind.

Nachdem zu Beginn der Auseinandersetzung auch Vermittlungsversuche von Europarat und Mitgliedern des Europaparlaments ohne Ergebnis blieben, der zuständige Ausschuss des Europarats dem türkischen Staat aber bestätigte, dass die neuen Gefängnisse europäischen Standards entsprechen, reagierte das Justizministerium auf alle weiteren Hungerstreiks nicht mehr. Man verzichtete auch auf Maßnahmen zur Zwangsernährung. Stattdessen wurden Gefangene, die körperlich sehr geschwächt waren, aus gesundheitlichen Gründen einfach entlassen. Sie konnten dann zu Hause sterben, in den Statistiken des Justizvollzugs tauchten sie nicht mehr auf.

Mit seinem Todesfasten hat der Anwalt Behic Asci zumindest sein erstes Ziel erreicht. In den Medien, der Anwaltskammer, in Ärzteorganisationen und Gewerkschaften wird wieder über das Todesfasten und die tödliche Ignoranz der Justiz geredet. Anfang des Monats veranstalteten verschiedene NGOs einen Kongress über die F-Typ-Gefängnisse, Anfang der Woche traf sich Parlamentspräsident Bülent Arinc mit den Angehörigen von Asci. Er sagte zu, dass er mit dem Justizminister sprechen und eine Kommission einsetzen will, die Anfang des Jahres beginnen soll, die Haftbedingungen zu überprüfen. Die Mutter von Asci blieb skeptisch. „Mein Sohn ist stur“, sagte sie der Presse, „solange nicht wirklich Verbesserung eintreten, wird er weiter fasten. Viel Zeit bleibt ihm nicht. Nach Auskunft seiner Ärzte würden, auch wenn er sofort wieder feste Nahrung zu sich nimmt, irreversible Schäden zurückbleiben.

JÜRGEN GOTTSCHLICH