„Wie ein Mensch ohne Nase“

Lübecks Holstentor ist nach anderthalbjähriger Sanierung wieder unverhüllt. Thorsten Rodiek, Leiter des Lübecker Museums für Kunst und Kulturgeschichte, erklärt, warum es unersetzlich ist

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Rodiek, die Sanierung des Holstentors hat rund eine Million Euro gekostet. Sind historische Bauwerke immer auch ein Fluch, weil es so teuer ist, sie zu erhalten?

Thorsten Rodiek: Das kommt auf die Perspektive an. In finanzieller Hinsicht ist es natürlich eine Belastung, weil die Instandhaltung eines alten Gebäudes eine Daueraufgabe ist. Andererseits – wie sähen unsere Städte ohne ihre historischen Bauwerke aus? Grauenvoll!

Die Sanierung haben zur Hälfte die Stadt und private Sponsoren sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz getragen. Hätte die Restaurierung ohne das private Geld überhaupt stattfinden können?

Schwer zu sagen. Dass saniert werden musste, war klar. Aber in diesem Fall hätte die finanziell klamme Stadt alle Kosten tragen müssen – abgesehen davon, dass die ursprünglich nicht geplante Sanierung der Dächer weitere 200.000 Euro verschlang.

Wie wichtig ist das Holstentor eigentlich für die Identität der Lübecker?

Sehr – was man schon daran sehen kann, dass es in Lübecker Werbungen ständig auftaucht. Wahrzeichen ist es aber schon lange: Es gibt hier einen Altar aus dem 16. Jahrhundert, auf dem das Holstentor bereits stellvertretend für die Stadt Lübeck gemalt wurde.

Wenn das Holstentor nicht mehr da wäre: Was empfänden Sie persönlich?

Es wäre so, als würde einem Menschen die Nase fehlen. Man hatte 1861 mal erwogen, das Holstentor abzureißen. Mit nur einer Stimme hat der Stadtrat das abgelehnt. Das ist ein großer Glücksfall, denn sonst hätte man da sicher eine kleine Autobahn hingelegt. So aber mussten die Straßen um das Gebäude herumgeführt werden, sodass das Tor den Platz dominiert und nicht der Verkehr.

Aber eigentlich ist es zu klein, um zu dominieren.

Es ist nicht klein! Es wirkt nur deshalb klein, weil die Stadt auf einer Art Hügel steht und das Holstentor in einer Trave-Niederung.

Außerdem war das Tor im Laufe der Zeit sehr stark eingesunken …

Ja, aber das wurde schon in den 30er Jahren unter den Nationalsozialisten behoben, die das Tor übrigens auch restauriert haben.

Außerdem wollten die Nazis dort ein Museum einrichten, eine „Ruhmes- und Ehrenhalle“.

Ja, sie hatten ein Waffenmuseum geplant, aber das ist nie zustande gekommen.

Woran ist das gescheitert?

Es gab erste Entwürfe zur Ausmalung der Räume, die aber wohl qualitativ nicht überzeugten. Dann kam der Zweite Weltkrieg, und danach ist das Tor dem hiesigen Museum für Kunst- und Kulturgeschichte übertragen worden.

Im Verlauf der aktuellen Restaurierung wurde ja an der Außenseite des Holstentors ein Hakenkreuz entdeckt und von Unbekannten gestohlen. Wenn es nicht entwendet worden wäre: Hätten Sie es da belassen?

Das ist natürlich problematisch. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man einen historischen Zustand bewahren soll – egal, um welche Epoche es sich handelt. Man kann nicht so tun, als hätte es bestimmte Teile der Geschichte nicht gegeben. Nun hat man es gestohlen und nicht erneuert, was ich richtig finde. Man darf ein so grausames Symbol nicht wiederherstellen. Wäre es aber nicht gestohlen worden, hätte ich dafür plädiert, es an seinem Ort zu belassen. Aus dokumentarischen Gründen.