Einigkeit im Widerspruch

EUROPA Bremer JungpolitikerInnen diskutieren vor der Wahl über europäische Identität. Sie wollen die Errungenschaften der EU gegen Populisten schützen und weiter ausbauen

„Die Schlachte oder den Zoo in Bremerhaven würde es ohne EU-Förderung nicht geben“

Linda Neddermann, Die Grünen

VON JAN-PAUL KOOPMANN

Vom viel beschworenen Desinteresse der Jugend an Europa war am Donnerstagabend nichts zu merken. Im Europapunkt der Bürgerschaft setzten sich fünf VertreterInnen von Parteien und deren Jugendorganisationen mit der EU-Wahl und Fragen europäischer Identität auseinander. Trotz Hitze gab es auch im Publikum reges Interesse: Rund 50 BesucherInnen waren der Einladung des Jugendrings gefolgt und diskutierten mit.

Abgeklopft auf ihre Parteiprogramme haben die TeilnehmerInnen routiniert Auskunft gegeben. Jugendgruppen und Mutterparteien unterschieden sich hier kaum. Man gab sich europäisch: Fast alle berichteten von Auslandsaufenthalten über das Erasmus-Programm der EU. Viele Thesen wurden mit Berichten von Bekannten aus anderen europäischen Ländern illustriert.

Das sind Erfahrungen Privilegierter. Auch wenn heute fast alle Unis mit Auslandssemestern werben und Erasmus seit Anfang des Jahres auch SchülerInnen und Auszubildende vermittelt, ist das europäische Lebensgefühl längst nicht allgemein durchgesetzt. Auch darum warben die ParteienvertreterInnen kräftig für die EU und ihre Errungenschaften: Frieden, Verständigung, Mobilität über Grenzen hinaus.

Was das auch für Bremen bedeutet, sagte Linda Neddermann von den Grünen: „Die Schlachte oder den Zoo in Bremerhaven würde es ohne EU-Förderung nicht geben.“ Solche Projekte bräuchten mehr Aufmerksamkeit – gerade als europäische. So ließe sich dem wachsenden Desinteresse gegenüber der EU etwas entgegensetzen.

Wie es um das Interesse bestellt ist, zeigt ein Blick auf die Wahlbeteiligung: Während Europa immer größeren Einfluss auf das Leben der Menschen hat, gehen die Wählerzahlen zurück: Bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 gaben gerade mal 43,3 Prozent der Deutschen ihre Stimme ab – in Bremen sogar nur 38,9. Als es 30 Jahre zuvor erstmals an die Urnen ging, beteiligten sich noch 65,7 Prozent. Die Besetzung des Podiums war da noch nicht auf der Welt, niemand ist älter als 25 Jahre.

Den Ost-West-Konflikt kennen sie nur aus Geschichtsbüchern, Grenzen innerhalb der EU überqueren sie schon immer ohne Schwierigkeiten und auch durch Austauschprogramme und Billigflieger ist Europa zusammengewachsen.

Unvergänglich seien diese Vorzüge nicht, sagte Miriam Strunge von der Linksjugend Solid: „Alles, was wir hier hochhalten, wird gerade zurückgefahren.“ Die Bundesregierung arbeite daran, das Bleiberecht Arbeitsloser auf sechs Monate zu beschränken, sagt sie, und gleichzeitig würden Rechtspopulisten wie die AfD oder Gruppen wie die „Goldene Morgenröte“ in Griechenland gegen Europa hetzen.

In diesem Punkt herrschte Einigkeit, über andere Fragen wurde heftig gestritten. Etwa über die linke Position, Rüstungsexporte grundsätzlich zu verbieten. Marco Seegers von den Jungen Liberalen nannte es utopisch, „sich mit Blumen zu bewaffnen“. Wenn die Eta „ihren nächsten Anschlag“ verübe, stünden wir „unbewaffnet dumm da“.

Der Juso Falk Wagner hielt das für „polemisch“ und problematisierte seinerseits vermeintlich humanitäre Bundeswehreinsätze. Radikaler Pazifismus ließe sich aber nicht durchhalten, sagt er. Er sei zum Beispiel „sehr froh“, dass Deutschland im zweiten Weltkrieg „gewaltsam besiegt“ wurde.

Insgesamt zeigte sich das Podium bei Grundsatzfragen erheblich streitlustiger als in ihren Einschätzungen zur EU. Spätestens als es um Flüchtlinge ging, wurden sich aber alle über ihre politischen Lager hinweg einig: Dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, sei schrecklich, betonten alle, und ebenso, dass die EU darauf mit der Aufrüstung der „Festung Europa“ reagiert habe.

Auch Marcel Käthner von der Jungen Union schloss sich an: „Frontex ist keine Lösung.“ Es sei auch ein Teil von Demokratie, sich parteiintern zu streiten, sagte er und widersprach der CDU-Haltung gegen allgemeines Wahlrecht für alle in Deutschland lebende EU-BürgerInnen.

Beim abschließenden „Wer würde mit wem“-Koalitionsspiel war wieder Parteipolitik angesagt: Die CDU würde gern mit Rot oder Grün, diese beiden aber nur miteinander. Die Linke halte sich in Asylfragen an die Grünen, bei Lohn und Beschäftigung eher an die SPD. Nur für die Liberalen konnte sich keiner begeistern, was Seegers aber gelassen aufnahm: Sein Plan sei ohnehin die absolute Mehrheit, und notfalls wäre da ja auch noch die CDU.

Trotz der Witze war die Europabegeisterung auf dem Podium förmlich spürbar. Und auch da, wo man sich inhaltlich uneinig geblieben ist, lag noch etwas Gemeinsames: Der Aufruf, am Sonntag zu wählen, um die Politik der EU zu verändern – in die eine oder andere Richtung.