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: Denglish: Charlotte Links neuer Roman „Das Echo der Schuld“

Stört Sie so etwas? Eine der Hauptfiguren heißt „Frederic Quentin“, alte Familie, traditionsreiche Privatbank, Landsitz in Norfolk, Cottage auf der Insel Skye. Das Problem ist: auf Englisch schreibt sich der Name „Frederick“ – die französische Version wäre „Frédéric“, und man könnte Eltern erfinden, die frankophil sind, weshalb sie ihrem Sohn den französischen Namen verpassen, ohne die Akzente allerdings, die im Englischen verwirren … Is aber nich, und neben dem falsch geschriebenen Vornamen können Kenner noch viele andere sachliche Fehler in dem Vereinigten Königreich dieses Romans finden.

Aber der Plot!, mögen Sie drängeln. Auf stilistische Brillanz, auf Korrektheit bei den Namen und Kulissen ist bei einem solchen Roman doch gepfiffen. Alles kommt auf den Plot an! Und wie steht’s um den?

Na ja. In King’s Lynn bringt ein guter Onkel, nachdem er sie geschändet hat, reihenweise kleine Mädchen um. Wie die Geschichte erzählt wird, müssen wir als Täter einen Mann namens Michael ins Auge fassen, die ganze Zeit unsichtbar, vor Jahren, in ihrer Kindheit und Jugend mit Virginia Quentin liiert, der Ehefrau jenes gut situierten und falsch geschriebenen Frederic Quentin. Weil ein seiner Obhut anvertrautes Kind durch dessen eigenes Ungeschick ums Leben kommt, ist Michael traumatisiert – so wie sich Bild-Zeitung und Unterschichtenfernsehen das vorstellen –, und deshalb mördert er kleine Mädchen? Nein, am Ende will Charlotte Link doch einen ordinären Whodunit geschrieben haben und lässt den ganzen Michael-Faden einfach fallen. Der Gärtner ist der Mörder.

Als Vor- oder Überbau fungiert eine andere Geschichte, die hier gar nicht reinpasst (dass sie überflüssig ist, hat der Leser bald kapiert). Ein deutscher Schluri, ausgestattet mit dem fetten Namen „Nathan Moor“ sowie lecker Sexappeal, sonnengebräunt, dunkles langes Haar, Muckis – Nathan Moor, bei seiner Weltumsegelung vor Schottland schiffbrüchig, drängt sich in die Ehe der Quentins, und ich fand, dass hier Charlotte Link eine vielversprechende Konstellation zu erfinden gelang. Virginia Quentin ist seit jenem Trauma mit Michael und dem toten Kind von depressiver Willenlosigkeit, für einen erotischen Freibeuter wie Nathan Moor leicht zu manipulieren. Wir sollen eine Weile seine Kandidatur für die Mädchenmorde wahrscheinlich finden, damit die überflüssige Geschichte mit dem Plot verknüpft ist. Tun wir aber keinen Augenblick. Wäre ich ihr Lektor gewesen, ich hätte Charlotte Link geraten, den Roman um die Konstellation Nathan Moor/Virginia Quentin herum aufzubauen und alle anderen Erfindungen wegzuschmeißen.

Die Sache ist vermutlich ganz einfach. Wie andere Romane von Charlotte Link ist auch dieser für das Fernsehen bestimmt. Dass sich aus schlechter Literatur annehmbare, ja grandiose Filme machen lassen, ist bekannt; weithin leuchtet „Der Pate“, das Meisterwerk, in das Francis Ford Coppola Mario Puzos schlechtes Buch verwandelt hat. So weit wird es der TV-Film nach Charlotte Links neuem Roman keinesfalls bringen. Doch verschaffen selbst mittelmäßige Schauspieler undeutlich geschriebenen Figuren eine Präsenz, die in einem Roman zu erzeugen literarische Mittel erfordert, über die Charlotte Link und ihresgleichen nicht verfügen. Gedeon Burkhard als Nathan Moor, André Hennecke als Frederic Quentin, Franka Potente als Virginia – ich würde mir das nicht anschauen, aber wer es mag, würde gut bedient. Dazu ein echtes Cottage auf der Insel Skye, Naturstein, die Fenster weiß gefasst – „fertig ist die Laube“.

So liegt mit Charlotte Links Roman das Produkt noch gar nicht vollständig vor. Erst der TV-Film wird’s bringen. Er baut dann – zusammen mit den Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen – ein imaginäres deutsches Großbritannien auf, das eigene kritische Untersuchungen erfordert. MICHAEL RUTSCHKY

Charlotte Link: „Das Echo der Schuld“. Blanvalet, München 2006, 544 Seiten, 21,95 Euro