Sie wollen nur spielen

Als Soldaten verkleidet schießen sie auf andere Soldaten: Das Hobby des Emsdettener Amokläufers teilen tausende Spieler in NRW. Forscher halten die Kriegsspiele für ungefährlich

VON MIRIAM BUNJES
UND MORITZ SCHRÖDER

Es ist geil nach drei Tagen im Schlammloch endlich den vernichtenden Schlag gegen den Gegner führen zu können. Es ist geil, wenn einem die Kugeln nur so um die Ohren fliegen, während man verzweifelt versucht, das Magazin zu wechseln. Weil es eben nicht real ist. Und genau das hebt uns auf ein Level mit Lego. Sie schütteln mit dem Kopf? Sie denken, Computerspiele machen Menschen zu Amokläufern? Dann tun Sie mir leid.

Selbstdarstellung eines Bielefelder Softair Clubs

Sie nennen sich Bodycount oder Mr.War. In ihrer Freizeit treffen sie sich in Kampfmontur und spielen Krieg. Im Wald, auf stillgelegten Industriegeländen treffen sich Softair-Teams, um gegeneinander zu kämpfen. Ihre Waffen: Gewehre im Militär-Look, Kalaschnikows, Pumpguns – alles soll so echt wie möglich aussehen. Mindestens 100 solcher Clubs gibt es in NRW, zeigt die Suche im Internet. Online sind fast alle Spieler, die Präsentation gehört zum Spiel, Manöver werden akribisch notiert, Fotos von mit Tarnfarben bemalten jungen Männern mit Waffe geistern zu tausenden durchs Web.

Sie sehen aus wie Bastian B. aus Emsdetten, der seine Phantasien wahr machte und am Montag mit zwei abgesägten Gewehren in seiner alten Realschule Amok lief: martialisch, brutal und bereit für den Krieg. Das Thema Emsdetten war deshalb gestern Tabu in den einschlägigen Foren: „Wir wollen nicht, dass Journalisten mit Schläferaccounts bei uns rumschnüffeln“, schreiben die Moderatoren des Softair-Forums und distanzieren sich von jeder Form „echter“ Gewalt. Kein Wunder: Auch Bastian B. war Softair-Spieler und diskutierte in Internet-Foren mit.

Aber wie weit entfernt ist die echte Gewalt tatsächlich? Anders als beim Computerspiel wird beim Softair oder Gotcha-Spielen mit Plastik- oder Farbkugeln auf echte Menschen geschossen. Es werden Kulissen aufgebaut, kriegerische Szenarien durchgespielt.

„Es ist trotzdem nur ein Spiel“, sagt Ronald Hitzler, Soziologieprofessor an der Universität Dortmund. „Wie beim Räuber und Gendarmspielen und eigentlich bei jedem Spiel geht es darum, Erfolgserlebnisse zu haben“, sagt der Jugendszeneforscher. „Und das macht eben Spaß.“ Dass aus dieser Form von Spaß echte Gewalt fördert, hält Hitzler für Spekulation. „Natürlich spielt immer auch die individuelle Pathologie eines Spielers eine Rolle.“ Wäre Bastian B. ohne Spiele kein Amokläufer geworden? „Das weiß keiner.“

Till Jürgensmeyer von der Arbeitsgruppe pädagogische Jugendforschung der Universität Duisburg-Essen hält die kriegerischen Rollenspiele sogar für ungefährlicher als das Töten am Bildschirm. „Die Leute leben ihre Gewaltphantasien nicht isoliert vor dem Bildschirm aus, sondern gemeinsam in der Gruppe“, sagt Jürgensmeyer. „Insofern können sie eher aufgefangen werden, wenn sie tatsächlich psychische Probleme kriegen.“ Verbote verhindern keine Amokläufe, finden beide Wissenschaftler. „Dann wird heimlich gespielt“, sagt Jürgensmeyer.

Diskutiert wird ein solches Verbot seit dem Amoklauf eines Erfurter Schülers 2002 – geändert wurde das Waffengesetz bislang nicht. Die Softair-Waffen sind legal. Nur die Gewehre, die Plastikkugeln mit einer Stärke von über 0,5 Joule verschießen, dürfen in der Öffentlichkeit nicht getragen werden.

Polizeibeamte kritisieren das seit langem. „Die Softairs sehen echten Waffen teilweise so ähnlich, dass Polizeibeamte sie nicht unterscheiden können“, sagt Wolfgang Dicke, Waffenexperte von der Gewerkschaft der Polizei. Dann zögen die Polizisten natürlich auch ihre Waffen. Das Waffengesetz wird zur Zeit überarbeitet: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will alle Scheinwaffen aus der Öffentlichkeit verbannen.

Aber auch Dicke warnt vor einer Überbewertung der Scheinwaffen: „Die Jugendlichen haben diesen Hang nicht erst heute. Ich habe auch früher mit einer Zwille rumgeschossen, die teilweise sogar eine höhere Wucht als die Softairs hat.“