Mit Pop und Tanz durch die Pogromnacht

Die Hamburger Bürgerschaft will „neue Zielgruppen“ erschließen und lädt für den 9. November zur „Nacht der Jugend“ mit Hiphop und Rock ins Rathaus. Den Naziterror, der damals begann, erwähnt das zugehörige Plakat nur im Kleingedruckten

AUS HAMBURG PETRA SCHELLEN

Der Titel klingt so unverbindlich wie harmlos: Zur „Nacht der Jugend“ lädt am 9. November die Hamburger Bürgerschaft; der Beschluss fiel einstimmig. „Den Soundtrack unserer Welt mixt Du!“ steht auf dem Plakat, das zentral eine Plakette mit Hamburg-Emblem zeigt. Wenig deutet darauf hin, dass es sich um eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht im Jahr 1938 handelt.

Von Hiphop, Theater, Kunst, Film, Rock, Tanz und Lesungen, „Gedichten und vielen anderen Attraktionen“ spricht vielmehr das Plakat. Datum und Text zum historischen Hintergrund wurden – in deutlich kleineren Lettern – an den Rand gerückt. Eine Aktion, die die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano „ganz und gar unpassend“ findet. „Eine Musik- und Tanzveranstaltung ist ungeeignet, an diese Nacht zu erinnern, in der die Nazis testeten, wie weit die Bevölkerung den Hitler-Terror mitmachen würde“, sagt Bejarano. „Man kann an jedem anderen Tag feiern, aber nicht an diesem.“

Marco Wiesner von der Pressestelle der Bürgerschaft, die das Event mitorganisiert hat, teilt diese Einschätzung nicht. „Neue Zielgruppen“ wolle man mit der Veranstaltung ködern, sagt er, „Menschen, die nicht zu normalen, ruhigeren Gedenkveranstaltungen gehen“. Inhaltlich sensibel „und zugleich locker“ werde man sich dem Thema widmen. Gleich zum Empfang werden auf der Senatstreppe beim Rathauseingang Bands aufspielen. Fetzige Rhythmen sollen es sein, aber „zum Tanzen animieren soll das nicht“, versichert Wiesner. Woran andererseits niemand gehindert werde. „Und mitwippen kann man an einem solchen Tag auf jeden Fall.“ Doch warum nicht ausschließlich Theater und Zeitzeugengespräche, wie sie Bejarano seit langem in Schulen anbietet? „Weil wir die 16- bis 21-Jährigen erreichen wollen“, sagt Wiesner, „um sie für das Gedenken zu begeistern.“ Und wenn jemand nur der Musik wegen kommt? „Dann können wir ihn nicht hindern, hoffen aber, dass er sich auch für die anderen Angebote interessiert.“

Warum auf dem Plakat Begriffe wie „Gedenken“ oder „Pogromnacht“ nicht in Großbuchstaben vorkommen, erklärt er nicht. „‚Den Soundtrack unserer Welt mixt Du!‘ – das spricht doch für sich“, findet Wiesner. „Jugendliche, entscheidet selbst, wie die Welt aussehen soll, in der ihr leben wollt!“ Eine Übertönung, gar eine Vermeidung des Gedenkens, wie Bejarano sie vermutet, sei nicht beabsichtigt. Wer zur „Nacht der Jugend“ komme, könne sich ausdrücklich für Toleranz einsetzen. Schreiben wollte man das aber nicht. Schließlich habe das Plakat ein „Hingucker“ sein sollen.

Zielt man also auf die oberflächliche Jugend, die auch ein Event nicht nachdenklicher macht? Nein. Die Jugendlichen seien „durchaus gebildet“, sagt Wiesner, und würden begreifen, was der 9. 11. 1938 bedeutet und dass sich der Abend auch gegen rechte Gewalt richte. Warum aber man das nicht so formuliert habe? Das wäre, orakelt Wiesner, eine zu starke Einschränkung des Themas gewesen.