Stochern im Dunkeln

VON TARIK AHMIA

Ursache unbekannt. Auch drei Tage nach dem europaweiten Stromausfall herrscht Ratlosigkeit bei den Experten. „Bis heute ist nicht klar, was die Ursache des Problems war“, sagte gestern der Chef des Eon-Konzerns, Wulf Bernotat. Von dem Stromausfall am Samstagabend waren 10 Millionen Menschen in ganz Europa betroffen. Es ist bislang nur klar, dass die Ursache im Eon Netz lag.

„Wahrscheinlich handelt es sich um eine Kombination unglücklicher Umstände“, sagte der Stromnetzexperte Hans Jürgen Haubrich von der Technischen Hochschule Aachen. Drei Umstände scheinen mir dem Blackout zu tun zu haben: die Abschaltung einer Hochspannungsleitung im Emsland, eine unerwartet starke Stromnachfrage aus Frankreich-Benelux und hohe Windenergie-Einspeisungen, die die Leitungen zum Teil überlasteten.

Klar sei, dass es europaweit einen Überflussbereich und einen Mangelbereich gab, sagte Haubrich. „Es gab eine Netztrennung zwischen Deutschland-Ost, Polen und der Slowakei sowie Deutschland-West, Frankreich und Spanien“ (siehe Karte). Weil im Westen plötzlich zu wenig Leistung verfügbar war, wurde dort die Stromversorgung der Verbraucher planmäßig abgeschaltet. „Sonst wäre ganz Europa dunkel gewesen“, sagt der Stromnetzexperte.

Grundsätzliche Zweifel an der Infrastruktur in Deutschland haben die Fachleute offenbar nicht. „Die Netzarchitektur für konventionellen Strom ist in Deutschland sehr gut“, sagte Armin Schnettler, Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik an der TH Aachen. Allerdings müsse die Kapazität für die Einspeisung von Windenergie deutlich ausgebaut werden. Dass die Infrastruktur mit dem Erfolg der Windenergie nicht Schritt gehalten hat, glaubt auch Stromnetzexperte Haubrich: „Ein Viertel der installierten Stromleistung in Deutschland kommt mittlerweile von der Windkraft.“ Das seien 18.000 Megawatt von insgesamt 80.000 Megawatt in Deutschland. „Vor allem in küstennahen Bereichen hat die Windenergie die Leitungslast in manchen Bereichen von 20 Prozent auf über 100 Prozent erhöht.“

Europaweit gebe es jedoch Informationsdefizite zwischen den Energieversorgern über die Netzauslastung. „Netzabschaltungen werden nicht immer sofort mitgeteilt“, so Armin Schnettler.

Der italienische Premierminster hatte gestern eine europäische Netzaufsichtsbehörde gefordert. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnte den Vorschlag ab. „Wir brauchen aber eine Abstimmung der Aufsichtsbehörden“, forderte Gabriel.

Energieexperten äußerten Kritik an der Nutzung der Stromnetze: „Die Infrastruktur wurde für den heutigen internationalen Handel mit Strom nicht gebaut“, sagte Armin Schnettler. Die dafür genutzten Kuppelstellen an den Grenzen seien eigentlich nur für Notfälle vorgesehen. Der Ausbau der Infrastruktur dauere jedoch viele Jahre. „Allein die Genehmigungsverfahren für den Bau von Freileitungen dauern zehn Jahre“, sagt Hans Jürgen Haubrich. „Mit jedem betroffenen Grundstückseigentümer muss Einverständnis erzielt werden.“

„Dafür sind aber auch höhere Investitionen in das Netz nötig“, so Tobias Federico, Analyst der Firma Energy Brainpool. Sie werden aus den sogenannten Netzentgelten finanziert, die etwa ein Drittel des Strompreises ausmachen. Höhere Netzentgelte dürften jedoch nur schwer zu rechtfertigen sein. Die Bundesnetzagentur hatte erst im September die Entgelte gekürzt, weil sie die Preise als überhöht bewertete.