Gipfel der Dreckschleudern

Es geht um die Frage, wer zwischen 2013 und 2017 wie viel Kohlendioxid einsparen muss

VON NICK REIMER

Auf dem Flughafen Nairobi wird an diesem Wochenende Hochbetrieb herrschen: 6.000 Diplomaten aus 189 Ländern fliegen ein. Ab Montag ist Kenias Hauptstadt Gastgeberin der diesjährigen Weltklimakonferenz. Auf dem Gelände der UN-Umweltorganisation Unep sollen bis zum 17. November neue Wege zur Rettung der Welt gefunden werden.

Die Delegierten werden vieles zu diskutieren haben. Einigkeit jedoch besteht in der Frage des Klimawandels. Der vollzieht sich erstens rascher, als es die Wissenschaftler noch vor Jahren prognostiziert haben. Und deshalb muss zweitens deutlich mehr für den Klimaschutz getan werden. Bereits hier aber beginnen die Differenzen: Es gibt etwa genauso viele unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie „mehr Klimaschutz“ aussehen sollte, wie Staaten auf der Konferenz vertreten sind.

Deutschland wird in Kenia eine wichtige Rolle spielen: Die EU-Staaten treten nicht einzeln in Erscheinung, sondern lassen sich von einer EU-Troika vertreten: Vertreter der EU-Kommission werden von Finnland und Deutschland – der aktuellen sowie der kommenden Ratspräsidentschaft – begleitet.

Wichtigstes Ziel der Europäer sei ein Verhandlungsmandat, heißt es aus der deutschen Delegation. Im Klartext heißt das, der Gipfel verhandelt, ob er neu verhandeln soll. Bis 2009 nämlich muss sich die internationale Staatengemeinschaft auf eine Klimaschutzordnung für die zweite Periode des Kiotoprotokolls einigen. Es geht also um die Frage, wer zwischen 2013 und 2017 wie viel Kohlendioxid einsparen muss. Sollen schnell wachsende Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sich dann auch zu Reduktionsquoten verpflichten? Dagegen sperren sich die natürlich. Für sie steht eher diese Frage im Vordergrund: Was passiert mit jenen Sündern, die ihre Verpflichtungen aus der ersten Periode 2008 bis 2012 nicht einhalten? Eine Frage, die beispielsweise der kanadischen Delegation sehr unlieb sein dürfte: Erst kürzlich hatte die konservative Regierung erklärt, ihre Minderungsvorgaben für 2012 erst 2050 schaffen zu können.

Entsprechend schlecht stehen die Chancen, dass die Weltklimakonferenz 2006 diesen Verhandlungsauftrag erteilen wird. „Wir müssen versuchen, über gute Gespräche den Weg für die Konferenz 2007 zu ebnen“, sagt eine deutsche Klimadiplomatin. Ihre Rechnung: Würde dieses Mandat wenigstens 2007 erteilt, blieben immerhin noch zwei Jahre Verhandlungsspielraum bis 2009. „Das wäre dann noch zu schaffen.“ Grundlage dieses Optimismus sind die Verhandlungen für den ersten Kioto-Zeitraum: Diese waren 1995 in Berlin begonnen und 1997 in Kioto beendet worden. Der Unterschied ist: Damals verhandelte man im rechtsfreien Raum; diesmal sind alle Vertragsparteien durch ihre Unterschrift unter das Kiotoprotokoll bereits rechtskräftig gebunden.

Wichtigstes Anliegen der Entwicklungsländer dürfte auf dem Klimagipfel der Anpassungsfonds sein. Eben weil der Klimawandel nicht mehr zu verhindern ist, drängen die ärmeren Staaten die Verursacher – also die reichen Länder –, Geld für die Folgenbekämpfung aufzubringen. Der Anpassungsfonds soll bis zu 400 Millionen Dollar aufbringen; gespeist wird er aus einer zweiprozentigen Abgabe auf Clean-Development-Projekte (CDM). Wenn also etwa Spanien einen Windpark in Indien für 100 Millionen Euro baut – um so die eigene Klimabilanz zu verbessern –, soll es 2 Millionen in den Anpassungsfonds einzahlen.

Allerdings sind die Modalitäten des Fonds noch ungeklärt: Wer entscheidet, welches Land wofür wie viel Geld bekäme? Hier mehr Regen, dort mehr Trockenheit – sind veränderte Niederschlagsmuster, wie Gastgeber Kenia argumentiert, bereits Anspruchsgrund? Oder wird erst gezahlt, wenn Menschen wegen der Versteppung umgesiedelt werden müssen? Diese Fragen sollen in Nairobi geklärt werden. Die EU-Troika jedenfalls hat die Arbeitsfähigkeit des Anpassungsfonds zu einem wichtigen Konferenzziel erklärt.

Schwieriger wird es da schon beim Technologietransfer, für die ärmeren Länder ein wichtiger Verhandlungspunkt. Auf der letzten Konferenz 2005 in Montreal sei „wertvolle Grundlagenarbeit geleistet worden, damit die Entwicklungsländer wissen, welche Technologien existieren“, heißt es im Bundesumweltministerium. Interesse mindestens der Schwellenländer aber ist, diese Technologie selbst bauen zu können. Zum Beispiel Südafrika, das seine Energie fast komplett durch Kohle deckt. Im letzten Jahr sagte ein südafrikanischer Klimadiplomat: „Zuerst haben die Europäer unsere Rohstoffe geraubt, jetzt wollen sie, dass wir ihnen ihre Windräder abkaufen.“

Und dann geht es ja auch noch um das Kiotoprotokoll selbst. „Diesmal geht es um die Spielregeln der harten und der weichen Jungs“, sagt Hermann Ott vom renommierten Wuppertal-Institut für Klimaforschung. „Weiche Jungs“ sind die Mitglieder einer Expertengruppe, die den Ländern, deren Klimaziel zu scheitern droht, eine Art Politikberatung anbieten – ähnlich wie es der Internationale Währungsfonds praktiziert. Als „harte Jungs“ bezeichnet Ott die Richter: „Natürlich muss geklärt werden, was verfehlte Klimapolitik für Konsequenzen hat.“

Zehn Tage, 189 Länder, 6.000 Klimadiplomaten, jede Menge Zündstoff. In der zweiten Konferenzwoche wird in Nairobi schließlich die Politik erwartet. Angeführt von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gehören zur deutschen Delegation auch der Bündnisgrüne Reinhard Loske, der stellvertretende energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Berg, sowie Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf (CSU). Sie sollen hoffentlich beschließen, was die Diplomaten vorher ausgehandelt haben. Vermutlich wird das viel zu wenig sein. Eine leitende deutsche Unterhändlerin hat schon im Vorfeld der Klimakonferenz vom letzten Jahr gesagt: „Wenn es uns gelingt, für die Verhandlungen im nächsten Jahr ein gutes Klima zu schaffen, wäre das schon ein schöner Erfolg“.