Schwanger in der SPD

In der alten deutschen Volkspartei, der SPD, vollzieht sich seit einigen Wochen ein Schauspiel über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In der Hauptrolle ist Andrea Nahles, 40, Generalsekretärin der Partei. Im Januar erwartet sie ihr erstes Kind, sie ist damit die erste Spitzenpolitikerin in Deutschland, die im Job Mutter wird. Einige allzu menschliche Sorgen über diese Situation hat Nahles am vergangenen Wochenende in einem Interview geäußert. Sie könne ihr Kind vielleicht nicht so oft sehen wie gewünscht, sagte Nahles. Denn ihr Job wecke Begehrlichkeiten, mit der Solidarität einiger könne sie zudem nicht rechnen, sobald es schwierig würde. Die SPD meine sie damit nicht, betonte sie.

In ihrer Partei hat Nahles keine einfache Position. Vor einem Jahr war sie als Doppelspitze mit Parteichef Sigmar Gabriel gestartet, mittlerweile muss sie in mühsamer Kleinarbeit die Partei reformieren, während der Parteichef Reden in Überlänge hält. Während Gabriel die großen inhaltlichen Linien vorgibt, muss sich Nahles qua Amt durch das Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin kämpfen, das sich zeitlich mit ihrer Schwangerschaft überschneidet.

Die Reaktionen auf ihr jüngstes Interview erzählen viel über die SPD, über das politische Berlin und über Andrea Nahles selbst. In der SPD wurde wild spekuliert, was Nahles mit dem Gesagten bezwecken wolle, von Unverständnis war die Rede, sogar von Entsetzen. Nur: Offen redete keiner. Auch andersherum sprang niemand Nahles bei, sagte: Da muss sich die Andrea keine Sorgen machen. Keiner wollte sich in diese Debatte einschalten. Es gab politisch nichts zu holen. Zuspruch erhielt Nahles nur aus anderen Parteien, auch nur von Frauen. Steffi Lemke, die grüne Kollegin, die seit langem mit Nahles eng zusammenarbeitet, und CDU-Ministerin Kristina Schröder solidarisierten sich.

Brutal nennen manche den Umgang in der SPD und mahnen ein fürsorglicheres Miteinander an. Nahles kommentierte die vielen anonymen Einlassungen nicht mehr. Am Freitag redete sie vor Parteileuten, es ging nicht um ihr Kind. Es ging um die Bürgerversicherung. Ihr Thema der letzten Wochen, es wäre fast vergessen worden. GORDON REPINSKI