Schöngerechnete Rohstoffe

PRODUKTION Die Industrie verbraucht mehr Material, als die amtliche Statistik zeigt. Politische Konsequenzen

Berücksichtigen die Statistiker alles, kommen sie zu ernüchternden Werten

AUS BERLIN HEIKE HOLDINGHAUSEN

Die deutschen Unternehmen verbrauchen deutlich mehr Rohstoffe, als die amtliche Statistik zeigt. Darauf haben das Statistische Bundesamt und das Umweltbundesamt gestern in Berlin hingewiesen. Wie ressourcensparend – und damit umweltfreundlich – in Deutschland produziert wird, errechnet das Statistikamt für den Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung. Der Bericht zeigt anhand von Indikatoren wie Flächenverbrauch, Mobilität und Beschäftigung, ob in Deutschland bestimmte Ziele erreicht werden.

Ein Ziel ist die möglichst effiziente und schonende Nutzung von Ressourcen. Bis zum Jahr 2020 soll sich die Rohstoffproduktivität – also das Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt (Bip) und Rohstoffeinsatz – in Deutschland gegenüber 1994 verdoppeln. So hatte es die damalige Bundesregierung 2002 beschlossen. Dabei scheint die Industrie auf einem guten Weg: Während das BIP von 1994 bis 2009 um 18,4 Prozent zulegte, hat sich der Rohstoffeinsatz im selben Zeitraum um 19,4 Prozent verringert. „Die Rohstoffproduktivität ist damit um 46,8 Prozent, also fast die Hälfte, gestiegen“, sagt Statistikamt-Präsident Roderich Egeler. Wenn die Effizienzbemühungen in diesem Maße weiter fortgeführt würden, würden bis 2020 zwar nicht 100 Prozent weniger Rohstoffe eingesetzt werden, um das selbe Wachstum zu erreichen, aber immerhin 90 Prozent weniger. Das klingt immer noch gut. Nur führen die Zahlen in die Irre.

Das liegt an der Berechnung der Rohstoffproduktivität, in die das Gewicht der importierten und der im Inland gewonnenen Rohstoffe in Tonnen eingerechnet wird. Das bedeutet: Importiert ein Unternehmen fertige Stahlbleche und verarbeitet diese weiter, anstatt sie vorher selbst herzustellen, sinkt der Materialeinsatz in Deutschland. „Die fertigen Bleche haben ein geringeres Gewicht als die für die Herstellung benötigten Rohstoffe“, so Egeler. Damit steige, bei gleichbleibendem BIP, die Rohstoffproduktivität. Rechnen die Statistiker diesen Effekt ein, berücksichtigen also die „Rohstoff-Rucksäcke“ der Importe, kommen sie zu ernüchternden Werten. In einem gemeinsamen Projekt haben das Umweltbundesamt und das Statistikamt alternative Berechnungsmethoden geprüft. Bezogen auf den Zeitraum zwischen 2000 und 2008 ist die Rohstoffproduktivität demnach nur um 6,9 Prozent gestiegen. Nach herkömmlicher Methode waren es 17,1 Prozent.

„Die Fortschritte sind also nicht einmal halb so groß, wie nach offizieller Zählart berechnet“, kritisiert Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts – und fordert politische Konsequenzen. Zum einen müsse das Recycling gestärkt werden. Als Vorbild nennt er die Verarbeitung von Aluminium. Inzwischen würden jährlich zwei Millionen Tonnen Aluschrott verarbeitet, aber nur noch rund 610.000 Tonnen Primäraluminium. Dies müsse bei anderen Metallen, vor allem den seltenen Erden, auch erreicht werden. Hierfür sei auch eine bessere Erfassung von Sekundärrohstoffen, etwa Elektroschrott, notwendig, zum Beispiel mit einer sogenannten Wertstofftonne.

Zweitens müssten umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Zum Beispiel sei nicht einsehbar, warum mit der Bausparfinanzierung der ressourcenintensive Neubau von Gebäuden gefördert werde. Flasbarth: „Die Mittel müssen in die Altbausanierung fließen.“