Tote und Verletzte im Osten der Ukraine

GEWALT Ukraines Innenminister Arsen Awakow ordnet „Anti-Terror-Einsatz“ gegen prorussische Besetzer des Polizeiquartiers der ostukrainischen Stadt Slawjansk an. Lager vor Ort wird höchst unterschiedlich beschrieben

VON KLAUS HILLENBRAND

BERLIN taz/afp | Im Osten der Ukraine sind die politischen Spannungen offenbar in blutige Gewalt übergegangen. Bei einem Polizeieinsatz gegen prorussische Gruppen in oder um die rund 100.000 Einwohner zählende Stadt Slawjansk wurden nach Angaben von Innenminister Arsen Awakow vom Sonntag ein Offizier und mehrere prorussische Milizionäre getötet. Awakow warf den „Separatisten“ vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Was sich genau in Slawjansk abspielte, blieb am Sonntag unklar. Awakow rief die Bevölkerung auf, das Stadtzentrum zu räumen, in den Häusern zu bleiben und sich von Fenstern fernzuhalten. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, Bewohner bewachten die rund um das Kommissariat errichteten Barrikaden. Das umkämpfte Polizeikommissariat der Stadt habe sich am Mittag weiterhin in der Hand prorussischer Kräfte befunden. Die Bevölkerung hamstere Lebensmittel. An einer Zufahrtsstraße errichteten Milizionäre eine Straßensperre. Ein Reuters-Reporter berichtete von zwei Kampfhubschraubern, die über der Stadt kreisten.

Demgegenüber berichteten Reporter des US-Nachrichtenkanals CNN, sie hätten keine Sicherheitskräfte entdecken können. Lediglich ein einziger Polizeiwagen sei durch die Straßen gefahren, und ein Hubschrauber kreise über der Stadt. Die Verwaltung des Bezirks Donezk berichtete von „anhaltenden bewaffneten Zusammenstößen“ auf einer Straße zwischen Slawjansk und Donezk. Dabei habe es mindestens einen Toten gegeben.

Innenminister Awakow hatte am Sonntagmorgen den „Anti-Terror-Einsatz“ angeordnet, nachdem am Vortag bewaffnete prorussische Gruppen in Slawjansk Gebäude von Polizei und Geheimdienst besetzt hatten. Die Bürgermeisterin von Slawjansk, Lelja Schtepa, sagte, dass die Besetzer ein Referendum über die Autonomie oder einen Anschluss an Russland forderten. Es seien keine Russen, sondern Ortsansässige.

Slawjansk liegt rund 60 Kilometer von der Großstadt Donezk entfernt. Auch dort stürmten prorussische Gruppen am Samstag das Hauptquartier der Polizei. Sie trugen nach Augenzeugenaussagen Uniformen der berüchtigten Polizeieinheit Berkut. In Kramatorsk und Krasnyi Lyman gab es nach Attacken „bewaffneter Kämpfer“ auf Verwaltungsgebäude Schusswechsel mit den Sicherheitskräften. In Krasnyi Lyman griffen Milizionäre laut Awakow die Polizei mit „AK 100-Waffen russischer Herstellung“ an.

Die große Zahl an Besetzungen ließ Beobachter vermuten, es handele sich um eine konzerzierte Aktion. Unstrittig ist, dass die prorussischen Kämpfer ihre Einsätze gut organisiert unternehmen. In Slawjansk erbeuteten sie offenbar größere Mengen Schusswaffen.

Awakow bezeichnete die Kämpfe im Osten der Ukraine als russischen „Akt der Aggression“. US-Außenminister John Kerry drohte in einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow mit „weiteren Konsequenzen“, sollte Russland keine Schritte zur Deeskalation unternehmen und seine Truppen nicht von der Grenze abziehen.