Schule der Demut

Redakteure auf dem Fahrrad, Dienstreisen bis an die Stadtgrenze: Die taz bremen fungierte als Dekonstrukteurin des Mythos vom flotten Journalistenleben. Ein Autor sagt danke

Von Nicol Ljubić

Vermutlich wäre ich ohne die taz Bremen ein ziemlicher Snob geworden. Und wenn man es so sieht, habe ich ihr eine Menge zu verdanken, Freunde zum Beispiel, vielleicht sogar meine Freundin, die Snobs überhaupt nicht leiden kann.

Vor meiner ersten Begegnung mit der taz, das war 1992, dachte ich, wenn ich an Journalisten dachte, an den Vater meiner Ex-Freundin. Der war Korrespondent für den WDR in Moskau und lebte in einer schönen Wohnung. Er hatte ein Foto von sich und Willy Brandt an der Wand, war stets auf Reisen und fuhr einen eigenen Dienstwagen. Weil ich mir so ein Leben für mich auch vorstellen konnte, beschloss ich, Journalist zu werden.

Allerdings lebte ich damals in Bremen und nicht mehr in Moskau und Korrespondent in Bremen ging schlecht. Auch war mir klar, dass es für einen Journalisten nicht reichte zu schreiben, er musste auch gedruckt werden. Also fuhr ich zu einem Konzert von Eberhard Weber, schrieb darüber einen elitären Feuilleton-Artikel, den außer mir kaum jemand verstand, warf ihn in den Briefkasten des Chefredakteurs eines Bremer Anzeigenblattes (ein Freund wusste, wo er wohnte), konnte es kaum fassen, als ich ihn in der nächsten Ausgabe wieder fand, schnitt ihn aus und hob ihn mir in einer Klarsichthülle auf: mein erster gedruckter Artikel.

Aber mir war auch klar: Wollte ich Korrespondent werden, konnte ich nicht ewig für ein Anzeigenblatt schreiben – ich musste die nächste Stufe nehmen. Weil der Freund auch einen Redakteur bei der taz kannte, brachte ich meinen nächsten Artikel persönlich vorbei. Es war das erste Mal, dass ich in einer Redaktion stand, ich war 21, und mir wurde klar, dass ein Journalist nicht zwangsläufig durch die Welt reist, dass es auch Journalisten gibt, die keinen Dienstwagen fahren, sondern Fahrrad und deren Reisen an der Bremer Stadtgrenze endeten. Der Redakteur, der vor mir saß, war sichtlich im Stress, er sah mich kaum an, er nahm meinen Text, sagte, er werde ihn später lesen und sich melden. Zwar meldete er sich nie, druckte aber trotzdem meinen Text. Er handelte von jugendlichen Graffiti-Sprayern. Die Zusammenarbeit war ein solcher Erfolg, dass die taz schon ein Jahr später den nächsten Text von mir druckte. Ich hatte mich in der Zwischenzeit Radio Bremen zugewandt, weil mein Freund auch dort jemanden kannte.

Ich würde also nicht sagen, die taz Bremen habe mein Talent entdeckt, mich gefördert und dass ich ihr deshalb für immer dankbar bin, weil ich ohne die taz Bremen nie Journalist geworden wäre, geschweige denn angefangen hätte, Bücher zu schreiben. In Wahrheit ist die Bedeutung der taz Bremen noch viel größer: Sie hat mich Demut und Bescheidenheit gelehrt. Liebe taz, dafür danke ich dir. Und vom Honorar, das ich nie bekommen habe, kaufst du dir was Schönes.

Hinweis: NICOL LJUBIć, 35, schreibt unter anderem für den Stern, die Zeit, das Jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung, den Tagesspiegel, Merian, Geo Saison und Brigitte. Zuletzt erschien von ihm „Heimatroman oder wie mein Vater ein Deutscher wurde“ bei der Deutschen Verlags-Anstalt. 2005 bekam er den Theodor-Wolff-Preis