Schönes neues Familienidyll

Heile Welt in Flensburg: Ab heute feiert das ZDF in seiner neuen Vorabend-Serie „Da kommt Kalle“ die klassische Kleinfamilie, die nach einer Studie des Adolf-Grimme-Instituts im Fernsehen sonst kaum noch zu sehen ist

Fernsehen ist so durchschaubar! Ein niedlicher Hund, zwei aufgeweckte Kinder, drei freundliche Bullen, vier unspektakuläre Ermittlungsfälle und das Ganze vor der bezaubernden Kulisse Flensburgs – das Programm vor der samstäglichen Tagesschau, sagt ZDF-Redakteurin Barbara Biermann ohne zu erröten, „funktioniert eben mit dem Dreiklang aus Familien-, Krimi- und Tiergeschichte am besten“. Zumindest für das Zielpublikum des Zweiten zu dieser Zeit: Kinder unter 13, Erwachsene über 50.

Dazwischen dürfte der Zuspruch allerdings gering sein, so unfassbar harmlos ist die neue Serie “Da kommt Kalle“. Und das, obwohl sie sich im Krimigenre verortet – wenn auch an einem Drehort, der nicht gerade als Verbrechenshochburg gilt. Im Gegenteil. Doch aus der alltäglichen Polizeiarbeit im Hansestädtchen mit seinen pittoresken Hafenzeilen und norddeutsch rustikalen Charakteren eine derartige Fernsehwattewelt zu machen, ist sogar für den generationenübergreifenden Vorabend zu weich. Selbst das augenzwinkernde Pendant „Großstadtrevier“ wagt sich bei aller Familientauglichkeit oft an die wirklich harten Delikte in Hamburg. „Da kommt Kalle“ indes spielt einzig zwischen befreundetem Kunstklau und illegalem Glücksspiel.

Wichtiger als die nachbarschaftlichen Kavaliersdelikte und Kleinvergehen ist jedoch die heile Welt ringsum: Die Förde mit ihrem dörflichen Flair und Familie Andresen samt Lebensumfeld mittendrin. Papa (Markus Knüfken) arbeitet als rasender Reporter des fiktiven Lokalblatts und Mama (Katharina Schubert) als verantwortungsvolle Polizistin. Für die zwei Kinder ist trotzdem alle Fürsorgezeit der Welt, wobei die Frau den Haushalt alleine schmeißt, natürlich stets bester Laune. Willkommen im Familienidyll der Gegenwart, perspektivisches Burnout-Syndrom der weiblichen Hauptfigur inklusive!

In seiner Betulichkeit wirkt „Da kommt Kalle“ so gesehen wie die Antwort auf eine Studie des Adolf-Grimme-Instituts vom vorigen Jahr. Die klassische Kleinfamilie, hat das Institut im Auftrag des Bundesfamilienministeriums herausgefunden, komme im deutschen Fernsehen unverhältnismäßig selten vor. Stattdessen werde das Programm neben den angesagten Patchworkfamilien in Serie über Gebühr von „alleinerziehenden und multi-tasking-begabten Frauen im Fernsehfilm und von melancholischen einsamen Wölfen und Wölfinnen im Krimi“ geprägt. Die ersten vier Folgen von „Kalle“ zeigen das Bemühen des ZDF, dieses Missverhältnis der televisionären Dominanz „großstädtischen Singledaseins“ zu korrigieren.

Aber vielleicht sollte man die Messlatte nicht zu hoch legen für diesen Sendeplatz, der gemeinhin für Sippenserien mit Tier à la Robbie und Charly reserviert ist. Denn die generationenübergreifende Klammer des Ganzen – Kalle mit Namen – ist schließlich ein Hund. Und was für ein niedlicher: Mit Halstuch und putzigen Eskapaden. Ein aufgewecktes Kerlchen, Parson-Russell-Terrier von Geburt, Dressurschulenabsolvent von Beruf, Chaot von der Rolle her.

Mit Hunden und Kindern ist schließlich nicht nur schwer drehen, besagt ein altes Branchenmotto, sondern vor allem leicht Quote machen. Besonders Tierärzte haben es den Programmmachern seit jeher angetan. Von Dr. Engel (Wolfgang Fierek) über Uschi Glas (Christine) bis Elisabeth Lanz, die als Dr. Mertens für die ARD possierliche Vierbeiner in die Kamera hält, sind die Programme gut gefüllt mit Belegen gegenseitiger Synergieeffekte. Denn weder Haustier noch Heiler kommen ohne begleitende Familienstory aus – selbst Siegfried Wischnewskis „Heim für Tiere“ (ZDF) beherbergte amouröse Abenteuer jeder Art. Und wenn Tim Bergmann kurz vor Weihnachten in der ZDF-Komödie „Hunde haben kurze Beine“ den egoistischen Immobilienhai gibt, hilft ihm ein gaaaanz süßer Boxer auf die Freiersfüße.

Tiere spielen in Film und Fernsehen eben gern Kuppelmütter oder kitten postmodern zerbrochene Wertegemeinschaften. Das war schon bei Lassie und Flipper, Boomer und Benji, Black Beauty und Fury nicht anders. Überall Familientrümmer. Aber da kommt ja jetzt Kalle – vielleicht der Auftakt eines Trends zur Standardfamilie. Das Familienministerium würd‘s freuen.

Freuen dürfen sich übrigens auch die norddeutschen Tourismusverbände, denen schon zuvor dank Serien wie „Der Fürst und das Mädchen“ (Glücksburg), „Das Geheimnis meines Vaters“ (Wismar) oder „Ein Bayer auf Rügen“ angeblich kostenlose Werbung zuteil wurde. Kalles PR für die teilmodernisierte Kleinfamilie ist jedenfalls auch eine für wunderbare Ferien an der Küste.

Jan Freitag

ZDF, 14.10. um 19.25 Uhr