Ich hab das alles noch im Körper

TANZTHEATER Mit einer langen Filmnacht ehrte die Akademie der Künste die 2009 verstorbene Choreografin Pina Bausch

Die Stücke scheinen wieder aufzuleben, wenn die Tänzer von der Leinwand her singen, weinen, lachen

Am Ende einiger Filmvorführungen applaudierte das Publikum – so wie es sonst nur Zuschauer im Theater tun. Dass Aufzeichnungen von Aufführungen berühmter Tanztheater-Choreografien von Pina Bausch mit Applaus gewürdigt werden, spricht für die ungebrochene Wirkung von Bauschs Stücken. Die Akademie der Künste am Hanseatenweg suchte vergangenen Samstag mit einer langen Filmnacht dem Verlust einer der bedeutendsten Theater-Erneuerinnen zu begegnen.

Vizepräsidentin Nele Hertling und Johannes Odenthal, beide langjährige und verdienstvolle Tanz-Fürsprecher, luden gemeinsam mit der Tanztheater-Choreografin Reinhild Hoffmann zu einem Querschnitt durch Bauschs Lebenswerk und zu Gesprächen mit der Filmemacherin Anne Linsel, der Choreografin Sasha Waltz und der Bausch-Tänzerin Josephine Ann Endicott ein.

Ein Filmvortrag von Norbert Servos führte zum Auftakt in einige Stücke von Bausch ein. Unverständlich, warum das Programmheft nicht die Filme, sondern nur die Stücke dokumentierte. Der Autor schloss seine Ausführungen mit einem fundamentalen Missverständnis, das niemand bezweifeln mochte: Bausch sei nicht mehr unter uns, ihre Stücke aber „da“. In der Tat scheinen jene wieder aufzuleben, wenn die Bausch-Tänzer von der Leinwand her schreien, singen, weinen, lachen, sich winden, umarmen und voneinander abstoßen, sich abarbeiten an Gefühlszuständen, die Bausch einzigartig in Bewegungen zu überführen vermochte. Die Filme zeigen aber auch, dass Pina Bausch in den Entstehungsphasen ihrer Choreografien, den Aufführungen aus dem Repertoire des 1973 gegründeten Wuppertaler Tanztheaters und deren Wiederaufnahmen stets Dreh- und Angelpunkt allen künstlerischen und menschlichen Miteinanders war und unersetzlich bleiben wird.

In Anne Linsels Dokumentarfilm von 2006 betonen einige Tänzerinnen und Tänzer die Freiheit, auf die Fragen der Choreografin nach persönlichen und alltäglichen Erlebnissen, Begegnungen oder Themen mittels Bewegung, Sprache, Stimme, dem individuellen Verhalten also, einzugehen. Durch diese Arbeit habe sie mehr über sich selbst erfahren, sagt Nazareth Panadero, die 30 Jahre mit Bausch tanzte. Film und Wirklichkeit gehen ineinander über, als Endicott später auf dem Podium erklärt: „Pina hat mich ewig jung gehalten, sie gab mir Kraft. Du hast nicht an dir zweifeln müssen.“

Die 50-Jährige hat in den vergangenen Wochen mit dem Ballett der Pariser Oper Bauschs „Sacre du printemps“ von 1975 neu einstudiert. „Ich habe das alles noch im Körper. Wenn man die Stücke weitergibt, werden sie sich über die Jahre etwas verschieben.“

Noch längst gibt es keine geregelte Lösung, wie und von wem Pina Bauschs Lebenswerk an nachfolgende Tänzergenerationen weitergegeben werden kann. Keine der Gesprächsrunden zwischen den Filmen widmete sich diesem Thema, das im Sinne der von der Akademie initiierten Programmreihe „Politische Körper“ hätte politisch werden können. Sasha Waltz erklärte sich indirekt zur falschen Gesprächspartnerin über Pina Bausch, denn sie habe zu Beginn ihrer Laufbahn die Entwicklung des Tanztheaters in Deutschland „völlig vernachlässigt“. Reinhild Hoffmann hingegen schätzt den intensiven frühen Eindruck, den die Tänzerin Bausch auf sie machte: ein Ausschnitt von 1963 aus dem Ballett „Der grüne Tisch“, 1932 von Kurt Jooss choreografiert, zeigt Bausch als Mutter, die ihre Angst und Verletzlichkeit mit letzter Kraft in Bewegung versetzt.

Diese Fähigkeit hatte sich Bausch seitdem stets bewahrt und für andere fruchtbar gemacht. „Eigentlich wollte ich immer nur tanzen“, hat sie einmal gesagt. „Den Wunsch danach habe ich mit der Verantwortung als Choreografin an andere abgegeben.“ FRANZISKA BUHRE