berliner szenen Die Kunst der Messen

Im Dauerblickkontakt

Der Berliner Kunstsalon ist diesmal düster, als wäre eine neue, etwas schüchterne No-Future-Bewegung am Werk gewesen. Aber es gibt auch lustige Dinge, zum Beispiel hat jemand den fehlenden Sack der berühmten Davidstatue nachgeformt – „und nicht nur den Sack“, ergänzt mein Begleiter. „Diese Arbeit hier ist groß“, sagt ein befreundeter Künstler anerkennend und zeigt auf ein Knäuel ineinander verkeilter Windhunde. „Leider ist sie zu klein“, fügt er bedauernd an und verlässt uns im Eilschritt.

In einem dunklen Raum projiziert ein Videobeamer wechselnde Elemente auf ein Gemälde. Das Motiv ist nicht erkennbar, weil zwei Teeniemädchen davor stehen und sich ihre knackigen Jeans vom Beamer bescheinen lassen. „Oh hier, krass“, sagt eine und zeigt mit dem Finger auf die von ihr als krass empfundene Stelle in dem Gemälde.

Was ich persönlich sehr schön finde, ist ein Stapel mit Baumstämmen, deren Schnittflächen in Textmarkerpink und Orange eingefärbt sind. Natürlich verstehe ich das Kunstwerk nicht. Bestimmt sind die Farben ein Spiegel des Blutes von Kriegsopfern, verharmlost und euphemistisch aufgehübscht durch verfremdete Darstellung in den Medien. Oder der Künstler hat die Neonstifte, mit denen er die Flächen eingefärbt hat, in langen Jahren selbst gedrechselt oder die Baumstämme stammen aus der Abholzung, die in dem Song „Karl der Käfer“ besungen wird.

Ich hätte Lust, noch mal zu den Japanern zu gehen. Die hatten die schönste Kunst und die haben ihre Besucher auch nicht durch Dauerblickkontakt zum Weggucken gezwungen. Aber wir finden die Japaner nicht mehr, sondern laufen wie Verirrte im Kreis, bis wir am Ende wie durch Zufall am Ausgang landen. Auch gut.

KATHARINA HEIN