Berlin ist relativ

GESCHICHTE Obwohl er Großstädte eigentlich nicht mochte, näherten sich Einstein und Berlin an: Der Physiker feierte hier seine größten Erfolge, genoss den Austausch mit Kollegen, schließlich sogar das kulturelle Leben. Dennoch: Richtig glücklich war er in Berlin nie

■ Wer heute durch Berlin wandert, findet viele Spuren von Albert Einstein. Vor seiner einstigen Wohnung in der Haberlandstraße 5, in der er lange mit seiner späteren Frau Elsa lebte, steht ein grauer Stein zu seinem Gedenken.

■ Im Einsteinpark in Prenzlauer Berg scheinen ein junger und ein alter Albert Einstein aus Bronze miteinander zu sprechen. Davon weg führt die Einsteinstraße, nicht zu verwechseln mit der Albert-Einstein-Straße in Adlershof.

■ In Einsteins Sommerhaus in Caputh treffen sich heute Nobelpreisträger und andere Denker, das Einstein-Forum in Potsdam organisiert Veranstaltungen und Stipendien für junge Wissenschaftler.

■ Berlin hat Einstein-Säle, das Albert-Einstein-Gymnasium, Einstein-Cafés, die Einstein-Stiftung, in Potsdam gibt es den Einsteinturm des Architekten Erich Mendelsohn und eine Sternwarte, um die man wandern kann.

■ Auch im Jüdischen Museum Berlin gibt es eine Büste, Fotos und Zitate von Albert Einstein. In einer hohen Vitrine ist auch der Nachdruck eines Briefes von Einstein aus dem Jahr 1936 ausgestellt. Darin schreibt er: „Liebe Nachwelt! Wenn Ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger sein werdet, als wir sind bzw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen.“ (mro)

VON MARIA ROSSBAUER

Vielleicht dachte sich Albert Einstein schon an jenem Sonntagabend, als er am Züricher Bahnsteig stand und mit seinem weißen Taschentuch winkte: Was tu ich mir da an? Denn mit dieser Geste war die Sache besiegelt. Einstein ging nach Berlin.

Und das, obwohl er so ziemlich alles an dieser Stadt, an Preußen überhaupt und den Berlinern ganz speziell nicht mochte. Die Berliner hätten einen „Mangel an persönlicher Gediegenheit“, schrieb er seiner Geliebten Elsa in einem Brief. Im Vergleich zu Franzosen und Engländern seien sie roh und primitiv in Rede und Empfindung, hätten keine persönliche Kultur.

Wirkliche Großstädte gefielen ihm sowieso nicht. Einstein wurde 1879 in Ulm geboren, war in München aufgewachsen, hatte in Zürich studiert, in Bern gearbeitet. Alles Orte, die eher seinem gemütlichen Typ entsprachen. Geschäftigkeit, Oberflächlichkeit und Ablenkung großstädtischen Lebens waren seiner Meinung nach der Tiefe wissenschaftlichen Denkens abträglich, schreibt der Historiker Dieter Hoffmann im Buch „Einsteins Berlin“.

Am meisten aber verabscheute er den preußischen Militarismus, der damals auch in Berlin herrschte. Einstein war Pazifist, Berlin hingegen schrie, so kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, die Kriegsbegeisterung geradezu heraus.

Trotz alledem nahm Albert Einstein das Angebot an, das Max Planck und Walther Nernst ihm an diesem Wochenende im Juli 1913 unterbreitet hatten. Vielleicht war er geschmeichelt, dass die beiden hochrangigen Physiker extra zu ihm nach Zürich gekommen waren, um ihn zu überzeugen.

Sicher lockten ihn auch die Bedingungen der Stelle: Er sollte als Vollzeitforscher an die Preußische Akademie der Wissenschaften gehen, ein für damals recht ordentliches Gehalt von 12.000 Mark im Jahr bekommen, würde nicht zwingend, wie in Zürich, unterrichten müssen und hatte mit Max Planck, Walther Nernst und Fritz Haber, allesamt wie er spätere Nobelpreisträger, das ideale Umfeld, um sich wissenschaftlich auszutauschen.

Doch neben dem luxuriösen Angebot war der entscheidende Punkt, der Einstein nach Berlin brachte: seine Geliebte Elsa. Die, ganz nebenbei, nicht nur seine Cousine ersten Grades über ihre Mutter, sondern auch eine Cousine zweiten Grades über ihren Vater war, und mit deren Schwester Paula er einmal eine Liebschaft hatte, so wie einige Jahre später auch mit ihrer Tochter Ilse.

Jedenfalls: „Die beiden hatten schon seit zwei Jahren ein Verhältnis“, sagt Hubert Goenner. Der Physiker und Historiker schreibt Bücher und Fachartikel zu Einstein und seinen Theorien und beschäftigte sich im Buch „Einstein in Berlin“ intensiv mit dessen Berliner Zeit.

„Der Wechsel nach Berlin war wohl auch ein Zeichen für das Auseinanderleben mit seiner Frau“, sagt Goenner. Die nämlich nervte Einstein ziemlich.

Er nannte Mileva Einstein „sein Kreuz“ oder „den sauersten Sauertopf, den es je gegeben hatte.“ Wobei man Mileva, die zusammen mit ihrem Mann in Zürich Mathematik und Physik studiert hatte, bei seinen vielen Frauengeschichten und sklavenartigen Ansprüchen an sie als Hausfrau wohl eine gewisse Übellaunigkeit nicht verdenken kann.

Nachdem Einstein am 29. März 1914 in Berlin aus dem Zug stieg, um seinen neuen Job zu beginnen, kam Mileva zwei Wochen später jedoch zunächst mit den beiden Söhnen nach. Wer hätte das gedacht: „Es funktionierte überhaupt nicht“, sagt Goenner.

Für das gemeinsame Leben in der Dahlemer Wohnung bekam Mileva von Albert schriftliche Anweisungen, in denen Sätze standen wie: „Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen …“ Dann verschwand Albert tagelang zu Elsa. Mileva und er stritten, es soll Handgreiflichkeiten von beiden Seiten gegeben haben. Ende Juli zog sie mit den Kindern zurück nach Zürich. Einstein weinte, wohl eher der Kinder wegen.

Er ging zu Einladungen in privaten Häusern oder besuchte mit einer seiner vielen Geliebten ein Kabarett, ein klassisches Konzert oder den Ball der Berliner Presse

So war die erste Zeit in Berlin für Albert Einstein auch auf privater Ebene eher turbulent. Doch dann änderte sich das Verhältnis: Die Großstadt und der Physiker kamen sich näher.

Einsteins „Kreuz“ Mileva war weg, er zog aus der großen Wohnung in eine kleinere in Wilmersdorf in Elsas Nähe, und auch mit den Berlinern freundete er sich auf die ihm eigene, etwas überhebliche Art an: „Ich verstehe jetzt die Selbstzufriedenheit des Berliners. Man erlebt so viel von außen, dass man die eigene Hohlheit nicht so schroff zu fühlen bekommt wie auf einem stilleren Plätzchen“, schrieb er noch 1914.

Die Annäherung hätte vielleicht weitergehen können. Doch dann kam der Erste Weltkrieg.

Vom 2. August an marschierten feldgrau gekleidete Soldaten durch die Straßen Berlins, und Einstein schrieb wenig später seinem Freund Paul Ehrenfest: „Unglaubliches“ hätten die Europäer in ihrem Wahn begonnen. „In solcher Zeit sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört.“

Einstein hasste den Krieg, für ihn gehörte er zu den ärgsten Feinden menschlicher Entwicklung. Besonders schmerzlich war, dass auch sein so geschätztes akademisches Umfeld in Berlin den Krieg unterstützte. Planck, Nernst, Haber, sie alle unterschrieben im Oktober einen Appell zur bedingungslosen Vaterlandsverteidigung. Einstein hingegen unterzeichnete den pazifistischen Gegenentwurf „Aufruf an die Europäer“, wurde Mitglied im Antikriegsverein Bund Neues Vaterland.

„Einstein lebte nun eher zurückgezogen“, sagt Goenner. Er verbrachte die meiste Zeit zu Hause oder bei Elsa, sein Magen litt unter der schlechten Ernährung der Kriegszeiten. Er arbeitete hauptsächlich daran, seine wichtigste Arbeit zu vollenden: die allgemeine Relativitätstheorie. Ende 1915 war sie fertig.

Und damit ging es, als der Krieg zu Ende war, schnell bergauf: 1919 bewiesen Astronomen eine Vorhersagung der Theorie – dass Licht von großen Massen abgelenkt wird. Einstein wurde auf einen Schlag berühmt.

Seine Leistung sei eine Revolution der Wissenschaft, eine völlige Umwälzung der Naturbetrachtung, er selbst auf einer Stufe mit Archimedes und Newton, wenn nicht gar höher, stand in Zeitungen.

Und das, obwohl vielleicht nur eine Handvoll Menschen seine Relativitätstheorie wirklich verstanden. Das haben ja nicht einmal die Mitglieder des Nobelkomitees. Ein Jahr lang war die Verleihung deshalb aufgeschoben worden – dann bekam Einstein die Ehrung 1922 offiziell für seine Entdeckung des photoelektrischen Effekts.

Doch sein Ruhm rührte wohl eher daher, dass die Journalisten endlich einen nicht ganz so verschlossenen Forscher gefunden hatten – einen mit zerzaustem Haar, charmant und irgendwie humorvoll. Die Leute liebten ihn wie einen Popstar, es gab Menschenaufläufe, tonnenweise Fanpost und Frauen, die seinetwegen in Ohnmacht fielen. Der Scientific American schrieb 1921: Der sensationelle Aufstieg des deutschen Physikers ist der ungewöhnlichste in der Geschichte der Wissenschaft.

■ Einsteins Relativitätstheorien befassen sich mit dem Wesen von Zeit und Raum und der Anziehung von Massen. Vor Einstein dachte man – vor allem durch Newton –, dass Zeit und Raum starr sind, dass die Zeit immer gleichmäßig voranschreitet und der Raum unveränderlich ist.

■ Einstein aber sagte: Raum, Zeit und Materie hängen zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Sie sind also relativ. So wird etwa die Raumzeit von großen Massen gekrümmt. Das heißt: Die Masse der Sonne biegt den Raum um sich herum. Einzige Konstante: Licht bewegt sich mit 300.000 Kilometern pro Sekunde.

■ Läuft also etwa das Licht eines Sterns eng an der Sonne vorbei, wird es abgelenkt und strahlt nicht, wie man bis dato glaubte, kerzengerade daran vorbei. So bewiesen 1919 auch Astronomen Einsteins Theorien: Sie beobachteten bei einer Sonnenfinsternis die Ablenkung von Sternenlicht in der Nähe der Sonne.

■ Nach Einstein vergeht die Zeit nicht immer gleich schnell: Uhren gehen etwa langsamer, wenn sie in Bewegung sind. Das sieht man beim GPS-System: GPS-Satelliten rasen mit 14.000 km/h um die Erde. Nach der Relativitätstheorie gehen die Uhren darauf pro Tag einige Mikrosekunden nach. Der Effekt wird heute korrigiert, sonst lägen Navis nach einem Tag schon mehrere Kilometer daneben.

■ Die wohl berühmteste Formel der Welt – E = mc[2]– besagt, dass Masse und Energie ineinander umwandelbar sind. Die Formel war auch die entscheidende Voraussetzung zur Entwicklung der Atombombe.

■ Bis heute haben sich alle Vorhersagungen und Berechnungen Einsteins in Experimenten bestätigt. (mro)

Der Ruhm war Einstein zwar manchmal lästig, aber er genoss ihn auch. Und im Zuge seiner neuen Berühmtheit schien er sich auch wieder mehr auf Berlin einzulassen.

Nach langem Scheidungsprozedere – und Überlegungen, ob er nicht doch lieber Elsas Tochter nehmen sollte – heirateten er und Elsa und lebten in einer hübschen Wohnung in der Haberlandstraße 5 in Schöneberg.

Nun ließ sich Einstein auch auf das Berliner Leben der Goldenen Zwanziger ein. Er ging zu Einladungen in privaten Häusern, spielte dort öfter mit seiner Violine oder besuchte mit Elsa oder einer seiner vielen Geliebten ein Kabarett, ein klassisches Konzert oder – mit Frack und Fliege – den Ball der Berliner Presse. „Einstein war in den Kreisen des gut betuchten Bürgertums angekommen“, sagt Goenner. Und das, obwohl er noch immer nicht sonderlich vermögend war. Doch er galt als liebenswürdig, geistreich, berühmt, man lud ihn gern ein.

So richtig glücklich muss Einstein hier allerdings erst geworden sein, als er ins Umland zog.

Nachdem ein Versuch der Stadt missglückte, dem berühmten Bürger ein Haus zu schenken, kaufte er sich selbst ein Grundstück in Caputh bei Potsdam. Ein Architekt baute dort ein Holzhaus, Elsa und er verbrachten fast das ganze Jahr über dort, und Einstein fühlte sich in seinem „Häusle“ wohl und entspannt wie nirgends, sagte er damals oft zu Freunden.

Zum fünfzigsten Geburtstag schenkten ihm Freunde ein Segelboot, und Einstein segelte mit Leidenschaft am Templiner See. Dem SPD-Politiker Konrad Haenisch schrieb er 1920, dass Berlin die Stätte sei, mit der er sich durch menschliche und wissenschaftliche Beziehungen am meisten verwachsen fühle. Er würde einem Ruf ins Ausland nur folgen, so Einstein, wenn äußere Verhältnisse ihn dazu zwängen.

Genau das passierte.

Die Berliner hätten einen Mangel an „persönlicher Gediegenheit“, seien roh und primitiv in Rede und Empfindung, hätten keine persönliche Kultur

Denn auch Hitler war auf dem Weg zur Macht, in Berlin gedieh der Antisemitismus. Einstein, der nicht sonderlich religiös war, bemerkte erst jetzt, wie er schrieb, dass er Jude sei. Ein Verein zur Erhaltung „reiner“ Wissenschaft hetzte gegen ihn, es gab Anti-Relativitätstheorie-Veranstaltungen mit Hakenkreuzsymbolen im Vorraum, die sich Einstein sogar anhörte, und er bekam Todesdrohungen.

Am 30. Januar 1933 war Albert Einstein auf einer Vorlesungsreise in Kalifornien, als er erfuhr, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte. Im März erklärte er, dass er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde. Solange ihm die Möglichkeit offenstünde, würde er sich nur in einem Land aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschten. Im April jedoch mietete er noch einmal ein Landhaus in den Dünen des kleinen Badeorts Le Coq sur Mer in Belgien.

Am 10. Mai 1933 verkündete Propagandaminister Joseph Goebbels, dass das Zeitalter des jüdischen Intellektualismus zu Ende sei. Danach verbrannten Nazis bei der Bücherverbrennung auch die Originalfassung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Am selben Tag erfuhren Albert und Elsa, dass das Geld auf ihren Konten zugunsten des preußischen Staats konfisziert worden war. Bald plünderten SA-Trupps Einsteins Wohnung in der Haberlandstraße. Auch Haus und Segelschiff in Caputh beschlagnahmten die Nazis.

Mit Hilfe des französischen Botschafters und mit Elsas Tochter Ilse, die noch eine Weile in Berlin blieb, konnte Einstein einige Möbel, Bücher und Unterlagen nach Frankreich retten und später in die USA verschiffen. Im Oktober 1933 bestiegen Albert und Elsa Einstein einen Dampfer, der sie in die USA bringen sollte.

Danach betrat Einstein nie wieder europäischen Boden. Er blieb, bis er 1955 starb, in Princeton.

Berlin sah Albert Einstein nie wieder.