„Kein großer Stratege“

Ausstellung mit Werken Ernst Ludwig Kirchners

■ ist Kunsthistoriker aus Frankfurt am Main und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hamburger KunsthalleFoto: Privat

taz: Herr Hurttig, was für ein Mensch war Kirchner?

Marcus Hurttig: Sicherlich eine sehr komplizierte Persönlichkeit. Er war äußerst sensibel und wurde zum Teil auch jähzornig, wenn bestimmte Sachen nicht so gemacht wurden, wie er es wünschte. Da hatte er keine Scheu, auch Freunde oder wichtige Persönlichkeiten wie Museumsdirektoren zu kritisieren. Also, er war kein Diplomat und auch kein großer Stratege.

Wie kann man Kirchners Stil beschreiben?

Anfangs orientiert er sich an den Spätformen des französischen Impressionismus, vor allem Cézanne oder Matisse. Das ist eine sehr farbprächtige Malerei, die Konturlinien auflöst und versucht, einen Kompromiss zu finden zwischen Illusionismus und der Vermittlung, dass die Leinwand flächig ist. Dann entwickelt er in den Zehnerjahren seine eigene Handschrift: eine sehr dünn aufgetragene Malweise und ein sehr rhythmischer Pinseldruck. In Davos ab 1914 versucht er dieses Nervöse, dieses Stakkatohafte immer mehr zu kontrollieren.

Inwiefern war er innovativ?

Er dachte nicht in Gattungshierarchien. Das spürt man, wenn man in der Ausstellung neben Gemälden auch Druckgrafik sieht. Kirchner war jemand, der der Druckgrafik auch einen Individualcharakter zusprach, insofern, als dass er jeden Druck selber durch die Presse gejagt hat.INTERVIEW: LINDA BODECK

19 Uhr: Eröffnung der Ausstellung „Kirchner“, Kunsthalle vor dem Kupferstichkabinett, läuft bis 16. Januar im Hubertus-Wald-Forum