berliner szenen Sound der Stadt

Sägen und heulen

Man kann sie hören. Man hört sie. Der Nachbar schaut bei offenem Fenster Fernsehen. Im Hinterhof schreit eine Katze, oder es schreit ein Baby. Wenn es nicht regnet, krächzen zwei Elstern in ihrer Kastanie. Betrunkene Nachbarn lassen die Tür zuschlagen, schließen umständlich ihre Räder ab und stapfen dann durchs Treppenhaus. Katze schreit, dann Baby. Laute Musik von rechts oben. Im Zimmer zwei Mücken und drei Falter. Um vier Uhr beginnt das Berliner Singvögelkonzert. Die Berliner Singvögel scheinen mit wenig Schlaf auszukommen. Die alten Elstern sind jetzt still.

Früh am Morgen nehmen die Nachbarn ihre Einwegflaschen, um sie beim Rausgehen zu entsorgen. Die Räder sind abgeschlossen. Dann nicht mehr. Irgendwann kommen Handwerker, dann die Müllabfuhr, die Sturm klingelnde Postbotin, das Gespräch im Treppenhaus, dann kommt der Kindergarten. Irgendeine fleißige Kita hat ihren Spielplatz auf den angrenzenden Hinterhof ausgelagert, das Pfeifen, das Kreischen, das Jauchzen, das sirenenhafte Geheul, wenn es um Schmerz und Ungerechtigkeit geht, und das unglaubliche, ständige Schaben der Bobbycars auf den Steinplatten. Hin und her. Der Hausmeister mit der Säge im Hinterhof. Schließt außer der Säge noch ein Transistorradio an. Kann keine Toilette reparieren, von einer Stromleitung ganz zu schweigen, ist aber im Garten voll der Chef. Säg, säg.

Um elf Uhr ist es plötzlich ganz still. Regen setzt ein. Zischen der Espressokanne. Der Wind raschelt mit der Kastanie, die Miniermotte hat schon vor Jahren zugeschlagen, gesägt wird aber nur an den Ästen. Der Hausmeister ratzt in seiner Wohnung. Auf der Straße die tickenden Ampeln, die rauschenden Autos. Und der ganze Rest. RENÉ HAMANN