Lieber Kalle, Du Stoiker,

ich habe Dich in den vergangenen 24 Jahren in drei Rollen kennengelernt: Den bei Redakteuren eher unbeliebten, aber mächtigen Geschäftsführer Anfang der neunziger Jahre (der die extrem vernünftige Genossenschaftsgründung vorantrieb).

Den stoischen, in Prinzipienfragen unbeweglichen, im Alltag aber sehr flexiblen Geschäftsführer, mit dem ich es als stellvertretender Chefredakteur von 1996 bis 1998 zu tun hatte.

Und den Geschäftsführer und Vorstand des neuen Jahrtausends, mit dem ich seit meiner Wahl zum Aufsichtsrat i m m e r vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte.

Solche Rollen erlebt man, deshalb für jede eine kurze Anekdote. Die erste hat nichts mit der Genossenschaft zu tun, aber viel mit Deiner Rolle im Haus. Ich hatte Dich als Beschwerdeinstanz missbraucht, um mein Missfallen über einen Chefredakteur zum Ausdruck zu bringen, der aus nichtigem Grund eine Kollegin abmahnen ließ. Missfallen ist verharmlosend, ich habe herumgebrüllt. Missbraucht deshalb, weil ich dem Chefredakteur selbst damals die Meinung hätte sagen sollen. Du bist ruhig geblieben, hast zugehört, geändert hat sich nichts.

Die zweite Anekdote hat mit meiner chronischen Geldnot Mitte der neunziger Jahre zu tun. Geldnot war Dir als taz-Geschäftsführer ja durchaus vertraut. Du hast damals unbürokratisch eine Lösung gefunden, die mir Luft verschaffte und doch mit dem Gehaltsmodell vereinbar war. Prinzipientreu, aber flexibel.

Die dritte Anekdote bezieht sich auf Deinen Riesenanteil am Erfolg der taz. Wir alle kennen Deine Langzeitkurven – auch und gerade im Vergleich mit der Konkurrenz. Gebannt schauen wir auch im Aufsichtsrat auf die Auflagenkurven, die sich übereinandertürmen. Es gibt bei diesem Erfolg aber auch eine Kallekurve, die eigentlich noch viel bemerkenswerter ist. Das ist die Umsatzentwicklung unseres kleinen Genossenschaftskonzerns. Die weist nämlich beständig nach oben. Auf inzwischen über 26 Millionen Euro. Genau wie die Zahl der MitarbeiterInnen, auf über 210.

Welch große Leistung das für alle tazler und vor allem für Dich ist, habe ich z.B. vor wenigen Wochen beim Blick auf die Zahlen der einst gewaltigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesehen. Deren Umsatz ist nämlich von über 800 Millionen Euro im Jahr 2000 auf unter 300 Millionen im Jahr 2011 geschrumpft.

Kalle, Du musst nicht mehr die FAZ lesen. Unser Produkt, Dein Produkt ist wirtschaftlich erfolgreicher. Das muss hier mal gesagt werden. Und wir brauchen Dich, damit das so weitergeht!

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hermann-Josef Tenhagen

■ Hermann-Josef Tenhagen, stellvertretender Chefredakteur 1996 bis 1998