AN DER KASSE
: Zucker macht reich

„Ich will das gar nicht haben, was Sie da kaufen“, sagt die Frau

Gerade habe ich acht Kartoffeln, eine Flasche Multivitaminsaft und eine Tüte Gummibärchen aufs Band gelegt. Feierabendschlange im Edeka in der S-Bahn-Station Friedrichstraße. Meine Augen sind müde, ich hab Hunger. Die Gummibärchen sind nur zur Überbrückung, bis die Kartoffeln gar sind.

„Entschuldigung, wo ist denn hier der Zucker?“, ruft eine Frau von hinten. Die Kassiererinnen hören sie nicht. „Kann mir mal jemand sagen, wo der Zucker ist?“ Die Leute in der Schlange ignorieren sie. Ziemlich genervt schiebt sie sich nah ans Süßwarenregal und beugt sich über das Türchen zum Kassiererinnenplatz und fragt erneut. „Da hinten beim Eierregal müssen Sie sich umdrehen“, erklärt die Verkäuferin etwas kryptisch. Die Frau rauscht ab.

„Die braucht ihren Zucker aber ziemlich nötig“, dringt eine weibliche Stimme von hinten an mein Ohr. Gefolgt von Gemurmel über die Zuckersucht in unserer Gesellschaft. Neben meinen Kartoffeln liegt jetzt ein Glas Naturjoghurt auf dem Band. Ich drehe mich um. „Haben Sie den dazugelegt?“, frage ich. „Nee, habe ich nicht“, sagt die Zuckerkritikerin, hagere Figur, langer Mantel. Okay, denke ich mir, vielleicht war meine Frage blöd. Locker schnacken mit Fremden war noch nie mein Ding. Ist ja offensichtlich, dass der Joghurt von ihr kommt. „Ich will das auch gar nicht haben, was Sie da kaufen“, sagt die Frau und beugt sich tief über die Haribo-Packung. Unter ihrem Mantel trägt sie einen dunkelblauen, knöchellangen Faltenrock.

Ich fühle mich schuldig. Gummibärchen sind ungesund. Da hilft es auch nichts, dass ich hinterher Kartoffeln esse und Saft trinke. Gleich wird sie mir vorhalten, wie viel Zucker in den Gummibärchen drin ist. Ich lasse die Frau vor. „Damit werden die irre reich“, sagt sie, nimmt den Jogurt vom Band und reicht der Kassiererin 1,28 Euro. JASMIN SIEBERT