Streik im Klinik-Kämmerlein

Auch Klinikärzte, die weiter behandeln, sind eifrig am Streiken: Sie boykottieren das verhasste „Codieren“, Voraussetzung für die Abrechnung mit den Krankenkassen. Die Patienten stört das nicht. Für die Klinik aber ist es teuer. Ein Streikstationsbesuch

aus Bremen Thorsten Steer

Es gibt heiße Waffeln und frischen Kaffee. Am Haupteingang des Klinikums Bremen-Mitte hat sich eine Traube Weißbekittelter angesammelt – der Streikposten der MedizinerInnen. „Come in and burn out“, heißt es auf dem Papp-Plakat, das an der Wand lehnt. Sieben Wochen dauert der Ausstand nun, 900 PatientInnen warten inzwischen allein in Bremen auf ihre Operation, täglich gibt es Mahnwachen, Aktionen, Demos. Doch gestreikt wird auch dort, wo es auf den ersten Blick niemand vermutet: in der Klinik, auf Station.

Etwa in der Kinderklinik. „Wir bestreiken die Codierung“, sagt eine Ärztin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Soll heißen: Die PatientInnen werden behandelt, der Klinik-Computer aber erfährt davon nichts. Die Folge: Die Klinik kann keine Behandlung mit der Krankenkasse abrechnen. Von 300.000 Euro Verlust für alle vier kommunalen Bremer Kliniken zusammen spricht die Klinik-Holding – täglich. Intern sind auch deutlich höhere Zahlen zu hören. Mittelfristig, so die Sprecherin der Klinik-Holding, Helga Loest, könnten die „temporären Verluste“ sogar „existenzgefährdend“ werden – „weil das irgendwann ans Eigenkapital geht“. In Oldenburg hat der Geschäftsführer des kommunalen Klinikums, Rudolf Mintrop, den Marburger Bund inzwischen in einem offenen Brief aufgefordert, den Streik auszusetzen – um zu verhindern, dass Krankenhäuser Konkurs anmelden müssen.

Die streikenden MedizinerInnen ficht das nicht an. Ein „probates Streikmittel“ sei der Codier-Boykott, drückt es ein Kollege vom „Klinikum Links der Weser“ aus. Und arbeitserleichternd noch dazu. Vorerkrankungen, Infekte, die während des Krankenhausaufenthaltes auftreten, und die OP selbst – „alle Diagnosen“ der PatientInnen müssten die ÄrztInnen mit Hilfe von speziellen Codes in den Computer eingeben, klagt Christian Gärtner vom Klinikum-Mitte: „ein Unding“. Denn wegen all der Verwaltungsarbeiten bliebe „weniger Zeit für meine eigentliche Aufgabe: die Betreuung der Patienten“.

Diese Sorge ist er derzeit los: „Hier in der Klinik wird so gut wie gar nicht mehr codiert.“ Der Bremer Vorsitzende des Marburger Bunds, Martin Rothe, bestreitet das nicht. Den Vorwurf, dies sei eine „Strategie“ der Ärzte und geschehe vorsätzlich, weist er aber vehement zurück: „Das passiert eben, weil für diese Tätigkeiten oft die Zeit fehlt.“ Klinikarzt Gärtner sieht es so: „Überstunden mache ich für das Codieren nicht.“

Die Klinik-Holding sieht das anders: „Die Ärzte haben eine rechtliche und arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Dokumentation“, sagt Sprecherin Loes. Sie gehe daher davon aus, dass diese „nachgeholt“ werde, wenn der Streik zu Ende sei. In welchem Umfang, wagt Loes nicht vorherzusagen. Sie habe, räumt sie ein, jedenfalls „Zweifel“, dass die geleisteten Behandlungen „vollständig“ abgerechnet werden könnten.

Wie lange der Ausstand noch andauert, ist offen. Von Zwist zwischen Ober- und Assistenz-ÄrztInnen, wie ihn die Arbeitgeber gerne säen würden, und einem daraus folgenden Aufsplittern der Streik-Front ist zumindest an diesem Morgen vor dem Haupttor von Bremens größter Klinik nichts zu spüren. „Ich halte das für eine Ente, dass nur Oberärzte vom Tarifvertrag profitieren, den der Marburger Bund fordert“, sagt Gärtner. Fach- und Assistenzärzte wie er, wird der Kommunale Arbeitgeberverband nicht müde zu betonen, seien die Verlierer im aktuellen Arbeitskampf. Sie würden nämlich nach den Forderungen des Marburger Bundes sogar weniger Geld bekommen als mit dem von ver.di ausgehandelten Tarifvertrag. Oberärzte hätten hingegen 900 Euro mehr im Monat auf dem Konto.

Der Marburger Bund bezeichnet diese Rechnung als falsch. Der Arbeitgeberverband habe die Bereitschaftsdienste der Ärzte in seiner Beispielrechnung nicht berücksichtigt. „Die wollen doch nur einen Keil zwischen uns treiben“, sagt Oberarzt Erko Hoeynck. Sein Piepser meldet sich. „Entschuldigung, ich muss in den OP.“

Bei BesucherInnen und PatientInnen stößt der Streik bislang mehrheitlich auf Verständnis. „Die sollen ruhig auf die Barrikaden gehen. Ich bin Gastronom und weiß, was ein 24-Stunden-Job bedeutet“, meint ein älterer Herr, der in der Nähe des Streikpostens auf einer Bank sitzt. Er ist noch vor Beginn des Streiks an der Bauchspeicheldrüse operiert worden und zur Beobachtung hier. Dass Ärzte ihre Behandlungen auch noch selbst codieren müssten, sei „Unsinn“. Eine junge Mutter, die ihren Mann besucht, der vier Wochen länger auf seine OP warten musste, kann den Protest der MedizinerInnen ebenfalls nachvollziehen. „Voll und ganz“, sagt sie.