Eine kleine Kartoffelkrise

Wegen des trockenen Sommers werden wohl selbst die dümmsten Bauern nur kleine Kartoffeln ernten – und nach Staatshilfe rufen. Was okay wäre, würden Subventionen sinnvoll vergeben

von NICK REIMER

Die aktuelle Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird, ist die Kartoffel. Dramatisch für die Fans pommfrierter Fritten: Nur die große Kartoffel gelten Fritten- oder Chipsherstellern als auch frittierbar. Wegen der wochenlangen Dürre gibt es in diesem Jahr in Deutschland aber keine dicken Knollen. Der Deutsche Bauernverband weissagte am Wochenende deshalb eine Pommes-frites-Krise im deutschen Land voraus.

Vergangene Woche war noch das Rindvieh die Sau, die durch die Dörfer getrieben wurde: Wegen der wochenlangen Dürre gibt es in Deutschland stellenweise kaum noch Futter für die Kühe. Weshalb einige Bauern – beispielsweise in Brandenburg – mit Notschlachtungen dem sicheren Verhungern ihres Produktionsmittels zuvorzukommen gedachten. Der Deutsche Bauernverband erkennt darin klar einen Trend: Die Zahl der deutschen Milchbetriebe ist zuletzt dramatisch gesunken. In einigen Regionen hat er sich sogar mehr als halbiert.

Die nächste Sau, die der Bauernverband durchs Dorf treiben wird, ist schon in Sicht: Erntemeldung heißt die Sau, mit der der Lobbyverband der deutschen Bauernschaft regelmäßige Wasserstandsmeldungen abgibt: Zwei Drittel des Roggens sind eingebracht. Oder: Ernte der Wintergerste annähernd abgeschlossen.

Wegen der wochenlangen Dürre fallen diese Wasserstandsmeldungen in diesem Jahr wieder einmal extrem alarmistisch aus: „Frühkartoffelernte zum Erliegen gekommen.“ „Regional dramatische Einbußen.“ „Statt im Oktober muss der Mais schon jetzt geerntet werden, weil die Pflanzen vertrocknen.“

In aller Regel nutzt der Bauernverband solche dramatischen Wasserstandsmeldungen, um „Existenzhilfen“ vom Staat zu fordern: Steuermittel also, die zu 97 Prozent von den Städtern erwirtschaftet werden. Jede Wette – das Argument des Bauernverbandes wird lauten: Nur wenn es Steuermittel für die Bauernschaft gibt, werde es noch eine Bauernschaft geben.

Nicht einmal mehr ein Prozent aller Deutschen verdient sich seinen Lebensunterhalt als Landwirt. Davon allerdings sind weniger als 50 Prozent noch Bauern. Die andere Hälfte arbeitet als AgrarbetriebswirtIn, als LandwirtschaftsmeisterIn, als AgrarmanagerIn, als Energiewirt. Während die Bauern „Urlaub auf dem Bauernhof“ anbieten, auf „öko“ machen oder extensiv – also sanft – wirtschaften, bearbeiten Letztere mit ausgeklügelten Bodenbearbeitungssystemen zu dritt ganz locker 1.000 Hektar – hoch intensiv, also mit sehr viel Chemie.

Diese chemieintensive Wirtschaftsweise der Agrar-Betriebs-ManagerInnen ist extrem klimaschädlich. Klimaschäden führen bekanntlich zunehmend zu extremem Wetter. Und extremes Wetter lässt eine nach der anderen Ernte mies ausfallen.

Seit die Beihilfen in der Landwirtschaft nicht mehr pro Produkt, sondern je Fläche ausgeschüttet werden, ist jener Landwirt bevorteilt, der intensiv dem Klima schadet. Von den anderen stehen wegen des immer deutlicher fühlbar werdenden Klimawandels immer mehr vor dem Ruin.

Zum Beispiel im Brandenburger Landkreis Oder-Spree, wo es dreizehneinhalb Wochen nicht geregnet hat – keinen einzigen Tropfen. Bauern, die hier ohnehin mit schlechten Böden gestraft sind, beklagen dieses Jahr 80 Prozent Ernteverlust. Das immerhin ist weniger als 2003: Damals verloren sie 85 Prozent.

Dafür sollen wir nun zahlen?

Ja. Und zwar zu Recht. Denn erstens liegt der Fehler im System: Fleischpreis oder Milchpreis werden von den Städtern diktiert. So muss der Brandenburger Bauer drei Liter Milch produzieren, um sich einen Liter Diesel leisten zu können. Solch Trockenheit wie dieses Jahr etwa in Brandenburg bedeutet für den Bauern mindestens doppelt so viel Aufwand: Ohne Regen wächst nun mal kaum Futter für die Milchquote. Die nicht zu schaffen, bedeutet vielerorts Bankrott.

Zweitens werden die meisten Bauern nicht für das bezahlt, was sie tatsächlich leisten. Sie sind es, die dem Städter am Wochenende im Kulturraum „Dorf“ Erholung und Entspannung erst ermöglichen.

Drittens müssen die Bauern für die städtisch dominierte Politik bluten: Die rationalisierungsbetrunkenen Städter hätten durchaus Möglichkeiten, Subventionen anders an die Bauern zu vergeben: für besonders chemiefreie Landwirtschaft zum Beispiel.

Entscheidend aber ist: Die meisten Städter sind viel schlimmere Klimaschweine als die schlimmsten Agrarmanager – nur leiden sie nicht so sehr unter den Extremen.