Absturz in aller Ruhe

Langsamer Helikopterflug über den Strip in Las Vegas oder Transatlantikflug im großen Jet: mit dem Flugsimulator zu markanten Punkten in Nordamerika, Europa und der ganzen Welt

von Dieter Grönling

Die Hummel hat bei einem Gewicht von 1,2 Gramm nur etwa 0,7 Quadratzentimeter Flügelfläche. Nach den bekannten Gesetzen der Aerodynamik kann die Hummel nicht fliegen. Doch die Hummel weiß das nicht und fliegt trotzdem.

Auch ein Helikopter kann nicht fliegen. Er drückt einfach die Luft nach unten. Der Unterschied zum Tragflächen-Flugzeug wird auch im Microsoft Flight Simulator spürbar – etwa beim langsamen Flug über den „Strip“ in Las Vegas. Besonders bei Nacht ist die „City of Lights“ beeindruckend, doch vor dem ersten Start heißt es Lernen und Üben. Das braucht viel Zeit, und selbst mit reichlich Simulator-Erfahrung auf der Cessna oder anderen Fluggeräten gibt es am Anfang mit Sicherheit Probleme. Aber das ist nicht weiter tragisch: Abstürze werden zwar auf dem Bildschirm angezeigt, haben aber keine Folgen. Dann wird einfach neu gestartet, und irgendwann klappt es.

Die etwas eigensinnige Simulator-Fangemeinde mag es überhaupt nicht, wenn ihr Lieblingsprogramm einfach nur ein „Spiel“ genannt wird. Aus ihrer Sicht ist es eine ernst zu nehmende Simulation für gut ausgestattete Heim-PCs – auch wenn der Hersteller Microsoft durchaus Zugeständnisse an die Zielgruppe macht und Elemente von Family Entertainment wie schwierig zu lösende Pilotenaufgaben einbaut. Betuchte Hobbypiloten richten sich einen Extra-PC nur für den Flugsimulator mit separaten Bildschirmen für die Sicht auf die Instrumente und auf die Landschaft ein und schaffen sich teures Spezialzubehör an: Seitenruderpedale, Steuerhörner und mehr. Für Anfänger sind Maus und Tastatur jedoch völlig ausreichend. Wer es etwas komfortabler mag, legt sich einen guten Joystick mit „Force Feedback“ zu, da sind Seitenwind und holprige Landebahnen im Steuerknüppel zu spüren. Zudem können wichtige Elemente wie Gashebel, Landeklappen und Fahrwerk direkt von zusätzlichen Tasten am Joystick bedient werden.

Außenstehende werden jedoch niemals verstehen, wie jemand bei einem Langstreckenflug – etwa von Los Angeles nach Hongkong – viele Stunden vor der Kiste hocken kann, ohne dass sich irgendetwas sichtbar verändert. Da kann man zwischendurch prima den Autopiloten einschalten, sich im Kino oder zum Essen verabreden – um dann für die Zwischenlandung auf Hawaii wieder rechtzeitig zur Stelle zu sein. Wie im realen Fliegerleben sind für solche Entfernungen die großen Jets wie die Boing 747 deutlich besser geeignet als kleine Sportflugzeuge.

Große Jets sind jedoch viel schwieriger zu fliegen und zu landen als kleine Einmotorige, die Navigation erfolgt fast ausschließlich nach Instrumentenflug-Regeln (IFR), und stundenlang die Instrumente im Auge behalten macht auf Dauer nicht wirklich Spaß.

Viel spannender ist es, mit einem der kleinen Fluggeräte wie der Cessna 182R in relativ geringer Höhe die Welt zu erkunden. Ein paar tausend Flugplätze auf der ganzen Welt können im Simulator angeflogen werden, die Landschaften sind durchaus realistisch nachempfunden. So sieht Afghanistan auch auf dem Simulator-Bildschirm karg, steinig und öde aus. Der Cessna-Flug durch die Alpen, von Basel nach Genua, ist da weitaus interessanter: Die Bergkämme sind mitunter höher als die Flughöhe der Cessna, und man muss sich durch die Täler schlängeln. Aber so kann auch mal auf einem abgelegenen Alpenflugplatz gelandet und pausiert werden. Interessant ist auch der Flug von Miami über die Florida-Keys und die Karibischen Inseln nach Panama. Vielleicht mit Zwischenlandung in Guantánamo, Kuba; dort gibt es Gebäude, die durchaus aussehen wie eine militärische Anlage.

Wer nicht allein fliegen mag, kann über ein lokales Netz oder das Internet gemeinsam mit anderen abheben – im Konvoi, im Formationsflug, als Passagier oder einfach nur zu zweit. Die Position und weitere Parameter der anderen Maschinen werden übers Netz übertragen; Chatten ist ebenso möglich wie der Blick auf die Flugzeuge der Mitflieger.

Doch auch das Fliegen mit der Cessna muss erst einmal erlernt werden. Das ist zwar längst nicht so schwierig wie Jet- oder Helikopterflüge, dennoch ist intensives Training nötig. Und auch am Simulator ist ein gewisses Maß an theoretischem Wissen erforderlich – schließlich müssen die vier Kräfte, die auf ein Flugzeug wirken, in den Griff gebracht werden: Auftrieb, Schub, Gewicht und Luftwiderstand. Und anders als Reisen im Landfahrzeug sind Flüge stets dreidimensional: es gibt oben und unten. Auch die Navigation ist nicht ganz einfach. Der Microsoft-Simulator stellt vergleichsweise hohe Anforderungen an die Piloten, deshalb ist das Programm auch eher bei den Vätern als bei den Söhnen beliebt. Ein bisschen Schummeln ist jedoch erlaubt: Wer die schwierige Landung eines Jets noch nicht hinkriegt, kann für den Transatlantikflug dennoch die Boeing benutzen – und schaltet beim Landeanflug in etwa 3.000 Fuß und bei geringer Geschwindigkeit einfach auf die gemütliche Cessna um.

Die eingebaute Flugschule vermittelt alles, was zum Fliegen mit dem Simulator nötig ist. Sie wurde von Rod Machado gestaltet, einem in den USA sehr bekannten Fluglehrer. Sein Humor ist mitunter arg amerikanisch („das Starten eines Flugzeugs ist freigestellt, die Landung ist obligatorisch“), dennoch sind die Lektionen leicht verständlich und gut zu fliegen. Es beginnt mit dem Grundkurs für Flugschüler, später wird Navigation und Instrumentenflug erlernt. Sogar Funkverkehr mit dem Tower gibt es.

So wird vermutlich mancher Familienvater davon träumen, wie einst Hanns Lothar in „Flug in Gefahr“, einem Fernsehfilm von 1964, einmal als Passagier eine halbwegs saubere Notlandung hinlegen zu dürfen. Obwohl noch nicht mal die mehrere Millionen Euro teuren Simulatoren der Fluggesellschaften alle Aspekte eines Fluges bis ins Letzte nachbilden können, ist das gar nicht so abwegig: Erst im letzten Jahr wurde in Tests festgestellt, dass in Notsituationen Passagiere dann die besten Chancen haben, ein Flugzeug heil auf eine Landebahn zu bringen, wenn sie Erfahrung mit einem Flugsimulator haben – selbst wenn es nur der von Microsoft ist.

Übrigens: Erst 1996 wurde an der Universität Cambridge herausgefunden, warum Hummeln fliegen können. Bei Versuchen zum Insektenflug haben Forscher festgestellt, dass der Insektenflügelschlag deutlich mehr Wirbel und somit mehr Auftrieb erzeugt als ursprünglich angenommen. Damit war das „Hummel-Paradoxon“ aufgelöst.