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: Europas Wiedergeburt

Es ist doch nichts geworden mit der südamerikanischen Herrschaft über die Fußballwelt. Drei Mannschaften aus Europa haben sich gegen drei Teams aus Südamerika durchgesetzt und das Halbfinale erreicht. Vor vier Jahren standen mit Italien, Frankreich, Deutschland und Portugal nur Europäer unter den letzten vier. Wird der bessere Fußball doch in der Alten Welt gespielt?

Argentinien und Brasilien sind vor allem deshalb gescheitert, weil sie ein zu starres taktisches Konzept haben. Eine Spielstrategie, mit der sie auf die Schwächen und Stärken der jeweiligen Gegner reagieren hätten können, haben sich weder Diego Maradona noch Carlos Dunga überlegt. Grundlage des Denkens der beiden Trainer war die Überzeugung von der Überlegenheit des eigenen Teams. Die Gegneranalyse spielte nur eine untergeordnete Rolle. Die ist bei Joachim Löw Grundlage des strategischen Handelns. Ging es gegen England darum, die Innenverteidiger zu locken, setzte er im Viertelfinale auf die Räume, die die Argentinier ihren Gegnern im Mittelfeld lassen, weil ihre fünf defensiven Spieler stets tief und die Angreifer sehr weit vorne stehen. Und während die Deutschen ihre Taktik im Vergleich zum Englandspiel umgestellt haben, ließ Maradona – in quasi gottgleicher Arroganz – sein Team so spielen, wie es immer spielt.

Auch Dungas Mannschaft hat sich so aufgestellt, wie sie sich immer aufstellt. Im Unterschied zu Argentinien, bei dem sich die Taktik aus dem, was die Spieler beherrschen, mehr oder weniger alleine ergibt, hat er seinem Team eine defensive Grundaufstellung verordnet, die man als Dunga-Prinzip bezeichnen könnte. Das hätte gegen die Niederlande durchaus funktionieren können, denn auch die Holländer gehen mit der immer gleichen Strategie in jedes Spiel. Das Dunga-Prinzip scheiterte indes an der Nibelungentreue des Trainers zu seinen Vertrauensspielern. Beispiel Felipe Melo: Der Trainerliebling und Treter, der bei Juventus Turin eine schauderhafte Saison gespielt hat, wurde zum großen Verlierer. Bei den Niederlanden gab es derartige Ausreißer nicht.

Die Mannschaft aus Paraguay hat immerhin gezeigt, wie man die von Vicente del Bosque trainierten Ballmonopolisierer aus Spanien so stören kann, dass sie sich kaum eine Torchance erarbeiten können. Die Stürmer mussten wie Verteidiger rackern, dafür bekamen sie kaum Bälle, wenn ihr Team im Angriff war. Am Ende setzte sich dann mit Spanien beinahe folgerichtig die Mannschaft durch, die das Offensivspiel gesucht hat. Und warum Uruguay im Halbfinale steht? Nun ja, es ist nicht immer alles erklärbar.

ANDREAS RÜTTENAUER