Der letzte Versuch

Die Wahrheit-Wochen der kleinen Verbrechen. Heute: Meine Karriere als Dealer (2)

Ich hatte meinen Kumpel Zappo in die Scheiße geritten. Ich hatte mich von den Bullen weich kochen lassen und ich konnte mir nun weiß Gott keine Illusionen darüber machen, dass ich für den Job des Dealers absolut ungeeignet war. Man sollte nicht gleich ganze Arien singen, wenn man mal ein bisschen härter angefasst wird. Ich war noch einmal mit einer richterlichen Ermahnung am Amtsgericht glimpflich davongekommen, und dennoch bastelte ich unbeirrt weiter an meiner Karriere als Drogendealer. Diesmal wollte ich größer einsteigen. Das Problem: Man brauchte erst mal ein bisschen Knatter, um eine etwas größere Menge kaufen zu können, denn auf Kommission gab es in diesem Gewerbe nichts.

Mit der Zahlungsmoral der Kundschaft stand es meist nicht zum Besten, abgesehen vom Risiko, das ein Dealer einging, wenn er an einen wie mich geriet, der sich das Zeug von den Bullen gleich wieder abnehmen ließ. Oder, was noch wahrscheinlicher war, es mit seinen Kumpels zügig selber konsumierte. Also arbeitete ich während der Ferien, säuberte Klimaanlagen in einer Fabrik, um nach drei Wochen Schufterei stracks mit ein paar guten Freunden, die man immer hat, wenn einige Fünfziger und Hunderter in Rauschgift angelegt werden sollen, in die nächste größere Stadt zu düsen, um mit einem GI in der Nähe der Kaserne den Deal abzuwickeln.

Sehr konspirativ verlief die Übergabe nicht und der Ort schien für derlei Transaktionen einschlägig bekannt zu sein. Und als der Lenker des Fahrzeugs auch noch auf der Straße wendete, obwohl zwei durchgehende Mittellinien darauf hindeuteten, dass das keine gute Idee war, hatten die offensichtlich den Drogenumschlagplatz observierenden Beamten auch einen guten Grund, uns erst mal an die Seite zu winken. „Sie haben da eine doppelte und durchgezogene Mittellinie überfahren und somit einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung begangen“, säuselte der Bulle ins zugemüllte Wageninnere, in dem sich vier zugedröhnte Freaks befanden. Dabei warf er ganz nebenbei einen Blick ins Handschuhfach, in das der Chauffeur ein in höchst unauffälliges Silberpapier eingewickeltes Piece von vielleicht einem Gramm achtlos hineingeworfen hatte.

Eine 200-Gramm-Platte aber lagerte in der Innentasche meiner speckigen Wildlederjacke und fühlte sich wie Nitroglycerin an, das jeden Moment hochgehen konnte. Ich kam mir vor wie Yves Montand in „Lohn der Angst“. Wir wurden in den kurze Zeit später eintreffenden Polizeitransporter eingeladen und zum Bullenquartier gefahren. Und während dieser gesamten Zeit überlegte ich fieberhaft, wie ich diese verdammte Platte loswerden konnte, ohne dass der Beamte etwas spitzkriegte. Aber der ließ uns keine Sekunde aus den Augen. Eine halbe Stunde schleppte ich das beschissene Corpus Delicti mit mir herum in der Gewissheit, dass die Bullen mit der ersten oberflächlichen Leibesvisitation den Volltreffer des Tages landen würden. Ich saß mitten in der dicksten Scheiße und hatte nicht die geringste Chance, da wieder rauszukommen. Und ich hatte jede Menge Zeit, dieses Gefühl auszukosten. Ich schlitterte auf einen Abgrund zu und es war weit und breit kein Strohhalm zu sehen, nach dem ich hätte greifen können. Als es dann so weit war, hatte ich die Hölle bereits hinter mir. Endlich war es vorbei. Den Rest der Prozedur ließ ich stoisch über mich ergehen. Das hatte ja mal wieder prima geklappt.

Ich bekam drei Wochen verschärften Jugendarrest aufgebrummt, ich durfte nicht rauchen – ich meine jetzt Zigaretten –, musste Tüten kleben, hatte Sichtblenden vor dem vergitterten Fenster, die mich vor welchen visuellen Reizen auch immer schützen sollten und nur ein paar Quadratzentimeter vom Blau des Himmels preisgaben, und musste dreiundzwanzig Stunden am Tag auf der Zelle verbringen. Diesmal hatte ich die Schnauze voll mit den Drogen. Fürs Erste jedenfalls. Und für die drei Wochen, die ich während der Ferienzeit absitzen musste, sowieso. Ich hatte umgesattelt und war jetzt in Sachen Revolution unterwegs. Da war Knast genau das richtige, denn der war bekanntlich die Schule des Revolutionärs. Nun saß ich also auf einer harten Holzbank und ließ mich von Lenin („Ausgewählte Schriften“, sechsbändige DDR-Ausgabe) in das Problem des „Empiriokritizismus“ einführen. Erst später wurde mir klar, dass es auch eine angenehmere Knastlektüre gibt.

KLAUS BITTERMANN