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: Vollsperrung im Mittelfeld

Bundestrainer Löw und DFB-Kapitän Lahm haben ja oft erklärt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erreichens des WM-Achtelfinales „hundert Prozent“ beträgt. Bleibt noch die kleine Frage offen: WIE wird man den vermutlich nötigen Sieg gegen Ghana herausspielen oder erzwingen?

Vordergründig gäbe es Grund zu Optimismus: Während die Deutschen die Serben mit zehn Mann dominierten und in Unterzahl Chancen herausspielten, konnten die Ghanaer beim 1:1 gegen Australien eine Überzahl nicht in einen Sieg verwandeln. Doch so einfach ist es nicht. Die Serben hatten aus dem deutschen Auftaktsieg (und ihrer Niederlage gegen Ghana) gelernt, besetzten mit drei Mann das zentrale Mittelfeld und nahmen so Özil aus dem Spiel. Sie behielten ihre Strategie auch gegen zehn Deutsche bei. Was denn auch sonst bei 1:0-Führung? Der Verzicht auf Angriffsqualität war kalkuliert. Stankovic war voll auf Özil konzentriert. Die drei Serben, die angreifen durften, machten das Tor mit dem einzigen Spielzug, den sie zur Verfügung hatten: Krasic dribbelte sich recht durch, flankte auf den Riesen Zigic, der legte zurück auf Jovanovic. Nach dem Platzverweis von Klose schob Löw den Linksaußen Podolski etwas nach vorn, um die Lücke zu schließen. Das ging zu Lasten der linken Defensive und also von Badstuber, der nun deutschlandweit als „überfordert“ gilt.

Warum greifen Mittelklasse-Teams nicht einmal an, wenn sie in Überzahl sind? Weil sie zwar ihre Organisation eingeübt haben, aber offensiv nicht viele Möglichkeiten oder so außergewöhnliche Kreativspieler, dass sie wagen würden, ein Spiel durchzusetzen. Ottmar Hitzfeld hat nach dem sehr glücklichen 1:0 der Schweiz gegen Spanien gesagt: „Man kann gegen Spanien kein offenes Spiel machen, sonst wird man ausgekontert.“ Nach dieser Logik spielen viele bei dieser WM, auch Brasilien. Hinten zu, angreifen mit maximal drei, vier Spielern. Ghana ist auch so ein Team. Sie spielen ein gut organisiertes 4-5-1, mit Gyan als Stoßstürmer und Prince Tagoe über rechts als Unterstützung. Der Fokus liegt auf Spielkontrolle durch Dominanz im Zentrum durch das Dreieck Annan, Boateng und Asamoah. Das ist es dann auch – selbst gegen zehn Australier oder im Spiel zuvor gegen zehn Serben.

Für Löw wird die Frage weniger sein, wie er Özil trotz ghanaischer Vollsperrung im zentralen Mittelfeld besser ins Spiel bringt. Die entscheidende Frage lautet nun: Ist das Team der netten, multiethnischen Jungs wirklich gut, also auch hart genug, wenn es gilt? Hoffentlich. Sonst droht nicht der Taktik-, sondern viel schlimmer: der Tugend-Geschwätz-Backlash. Dann heißt es: Deutsch Sammer.

PETER UNFRIED